Auf dem Siedepunkt
In Polen zählt Szymanowskis dreiaktige von seinen Reisen in den europäischen Süden trunkene Oper Król Roger zum Kernrepertoire. Doch wenngleich das 1926 in Warschau uraufgeführte Werk bereits zwei Jahre später am progressiven damaligen Duisburger Stadttheater herauskam, ist es in Deutschland ein allzu seltener Gast.
Król Roger spielt im Sizilien des Mittelalters, dort also, wo sich der Westen, Byzanz und muslimischer Orient begegnen. In diese kulturell vielgestaltige, aber politisch durch die starke Hand des Normannenkönigs Roger als Zwangsstaat geordnete Welt bricht die Erlöserfigur eines geheimnisvollen Hirten im Habitus eines neuen Dionysos.
Szymanowski erfüllt seine unter der Sonnenglut Siziliens spielende Oper mit einer Musik, die von der Hymnik liturgischer Gesänge über das mäandernde Melos des Hirten bis zu orchestralen Clustern reicht. Herausgekommen ist eine alle anfängliche Starrheit im Orgiastischen wie im Schmelzofen verflüssigende Partitur.
Regisseur Johannes Erath zügelt die Heftigkeit und Ekstase des Werks, ohne sie zu überspielen. Beinahe stellt sich der Gedanke an brillantes Schauspielertheater ein, so überragend führt Erath das Ensemble. Da treffen der hoch entwickelte Sinn für die Psyche der Figuren und die außerordentliche Musikalität des Spielleiters auf dafür ungewöhnlich empfängliche SängerdarstellerInnen.
Bei solcher Intensität macht sich die funktionale Schräge der Spielfläche samt dekorativ hinter ihr nach vorne aufsteigender Steilwand, die Johannes Leiacker für die Bühne aufbietet, nahezu überflüssig.
Die Figuren kleidet Jorge Jara in unauffälliges Schwarz, lediglich der epiphane Hirte darf in Weiß erscheinen und später Königin Roxane als seine Jüngerin in transparenter Spitze.
Musikalisch präsentiert sich die Produktion orchestral maßstabbildend, chorisch unmittelbar wie in Frankfurt schon lange nicht mehr, solistisch überzeugend.
Den Chor samt Extrachor der Frankfurter Oper begabt Tilman Michael zur Entfaltung jener sonnenhellen Strahlkraft, aus der die Pfeile sizilianischer Mittagshitze schießen.
Sylvain Cambreling türmt mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester schimmernde, funkelnde, glitzernde, schier blendende sich tausendfältig auswachsende kristalline Architekturen. Das gleißt auf seiner orgiastischen Klimax wie zur Stunde des Pan, in der Erschrecken von Entzücken nicht zu unterscheiden ist.
Lukasz Golinski in der Titelpartie kommt mit den baritonalen Lagenwechseln von Akt zu Akt versiert zurecht. Den Hirten gibt Gerard Schneider mit gut fokussiertem Tenor, der freilich den für diese Rolle unerlässlichen vokalen Glanz vermissen lässt. Sydney Mancasola bringt ihren Sopran zum idealen Ausgleich der lyrischen mit den dramatischen Anteilen der sich zum Erlöserhirten bekennenden Königin Roxana. AJ Glueckert verleiht des Königs tenoralem Ratgeber Edrisi elegische Tendenz.