Drei Schwestern im Münchner Kammerspiele

Lächerliche Sätze in abstrakten Räumen

Wolken fluten die Bühne. Aufquellend, sich verströmend, schwefelgelbgiftig auf Sturm getrimmt. Dann herrscht Dunkelheit und es hebt ein Sausen und Brausen an, als wolle uns eine gewaltige Maschinerie in Dantes Höllenkreise transferieren, wo alles ächzt und stöhnt und jault.

Licht an: In den Münchner Kammerspielen fällt der Blick auf ein rechteckiges Segment, das zu schweben scheint. Dort allein spielt sich etwas ab. Zumindest wenn es um die Interaktion von Personen geht. Drei Frauen wiegen sich im Zeitlupentanz, eingepackt in weißen Glockenrock, nebst schwarzem Oberteil und Kopftuch, wedeln mit den Armen. Dann geht das Telefon. Eine Stimme verkündet das Paradies in 300 Jahren. Es folgt - Dunkelheit.

Und wieder dieser Lärm. Und erneut wird es hell. Drei Männer mit fleischfarbenen Masken labern über das Wetter. Teilnahmslos, mit verfremdeten Stimmen, wirkend wie Maschinenmenschen, wie Außerirdische in ihrem alterslosen Erwachsenendasein. Ist das schon das Paradies? Wohl eher nicht. Einer nervt mit permanenter iPad-Fotografiererei. Langeweile ist spürbar, ja greifbar. Besser nochmal Licht aus.

Was ist das hier eigentlich? Eine Anordnung verschiedener Daseinszustände. Experimentelles Theater, das uns durch Raum und Zeit schleust, das als wuchtige Installation daherkommt. Geformt von der Regisseurin Susanne Kennedy, der als textlicher Steinbruch Anton Tschechows Drei Schwestern zur Verfügung steht. Hier werden keine zwischenmenschlichen Ereignisse oder Gefühle verhandelt, hier wird vielmehr ein Prinzip ins Labor verfrachtet und begutachtet. Eben das der Langeweile, der ewigen Wiederkehr des Gleichen (nach Nietzsche). Und gewissermaßen mitgedacht das des überflüssigen Menschen, ein Topos der russischen Literaturgeschichte seit Iwan Turgenew.

Nächstes Bild: Die drei Schwestern als altgewordene Frauen, im grellen Neonlicht der Spielfläche sitzen sie da, im wie klinisch wirkenden Seniorenheim. Auf dem weißen Tisch ein iPad mit seltsam verformtem Totenmaskenbild. Tristesse allenthalben. Nur eine sonore, verfremdete Stimme verkündet das goldene Zeitalter, das noch vor uns liege (nach Heinrich Heine). Und dann, wie so oft innerhalb dieser szenischen Collage, steht am Ende nur ein Wort, gleichsam ein Ausruf: Cut!

So geht es weiter, immerzu. Die Figuren, mit ihnen die Stilistik der Kleidung, mischen sich bisweilen, werden geformt zu diversen Tableaus. Gelegentlich sagt jemand einen Tschechow-Satz, hineingeworfen als Lebenszeichen in eine tote Gesellschaft. Doch Zitate der Art „Ihre Uhr geht sieben Minuten vor“, oder „Sie frühstücken schon?“, oder „Sie waren doch drei Schwestern?“ wirken bloß albern, im Grunde überflüssig.

Nun, wo es ums Prinzip geht, um Philosophie, wird ein Text eben zur Nebensache. Das Bewusstsein bestimmt das Sein. Bei Susanne Kennedy mündet es, ja, in bisweilen grellfarbene Bildmacht, in Aggregatzustände. Aber die Menschen hängen nur noch an Fäden der Regie. Sind der totalen Abstraktion ausgeliefert. Sagt jemand marionettengleich „Was für ein breiter Fluss“, zeigt dabei aber auf eine Swimmingpool-Anordnung von Blau, Marmor und Kacheln, wie sie der amerikanische Pop-Art-Künstler Alex Katz gemalt hat.

Cut! Wieder Dunkelheit, wüstes Brausen, keimfreie Szenerie, Satzhappen, Appelle, Repetitionen, Fremdtexte zudem, Endlosschleifen. Ziemlich zum Schluss, nach gefühlten drei Stunden und erlebten 90 Minuten heißt es „Wir werden leben“. Gottseidank!

Licht aus!