Shakespeare im Zeitalter des Klimawandels
Die Auseinandersetzung mit der Väter-Generation, sie hat schon so manche Buchseite und Psychotherapeuten-Sitzung gefüllt. Nun also rechnet der Regisseur Sebastian Hartmann mit den Vätern ab und nutzt dafür Shakespeares Königsdrama Lear.
Ja, die armen Zuschauer, sie werden von Hartmann mit nichts weniger als der Sinn- und Daseinsfrage konfrontiert. Da ist der auf dem Sterbebett liegende König (Markwart Müller-Elmau muss wenig machen, sondern lässt seinen Nachwuchs über ihn reflektieren), der sein Reich den drei Töchtern übergeben will. Am Deutschen Theater hat man sich für eine reduzierte Szenerie entschieden: Viel weiß, coole Kostüme und ein ausgeleuchteter Zuschauerraum, der die Grenze zwischen Bühne und Saal aufbricht. Hartmann sagt selbst, dass er als Regisseur nichts damit anfangen könnte, Schauspieler irgendwo „hinzustellen“, vielmehr entwickle er zusammen mit den Darstellern die Situationen. Hartmann krempelt den Lear also einmal um: Lear und sein Ratgeber Graf von Gloucester sind als Greise ans Krankenbett gefesselt, entmannt und stumm. „Verkopft und spröde“ und als „quälendes Gewese“ wird die Inszenierung von einer Rezensentin gar runter gebuttert. So hat theater:pur die anfänglich sicherlich hier und da Längen aufweisende Neu-Interpretation nicht wahr genommen.
Theater, das mit der Zeit geht und sich weiterentwickelt. Das mag nicht jeder!
Bei der Premiere nutzt nach etwa einer Stunde Vorführung ein älterer Herr die Gunst der Stunde den ersten Rang unter großem Tamtam zu verlassen. Offenbar kann er nicht viel mit Hartmanns Zugriff auf den Klassiker anfangen: „Geht lieber einen trinken!“, fordert er das Publikum auf. Der eine oder andere tut es ihm gegen Ende der Premiere gleich und verlässt verfrüht die Aufführung. Ob es daran lag, dass Hartmann den Zuschauerinnen und Zuschauern irgendwie den Spiegel vorhält? Das hat bekanntlich nicht jeder gern. Hartmann scheint zu fragen: „Wie viel Verantwortung tragen wir alle, die wir in einer aufgeklärten Gesellschaft leben und die Machtstrukturen, die letztlich nur wenigen dienen kennen?“
Lear wird von Hartmann mit dem modernen Text „Die Politiker“ (von Wolfram Lotz) kombiniert. Gerade gegen Ende verstärkt sich das derartig dicht, dass es hier und da etwas mit einem macht, einen verstört und berührt, wenn Cordelia Wege ein fulminantes, dreißig minütigen Stakkato-Solo hinlegt. Da bohren sich die Sätze ins Bewusstsein. So soll Theater bekanntlich bestenfalls sein.
Hartmann glaubt: „Mit Theater kann man die Welt retten, genauso wie ein Arzt oder die interessante Greta, die über den Atlantik segelt.“
Lear im Kleid der modernen Politik – das überzeugt vielleicht nicht jeden, aber doch einige.