Triumph der Tenöre
Rossinis 1816 am neapolitanischen Teatro del Fondo uraufgeführte Oper an Shakespeares Tragödie zu messen, wäre ungerecht. Schon, weil das in Venedig statt auf Zypern situierte Libretto von Francesco Maria Berio sich nicht unmittelbar an der elisabethanischen Vorlage orientiert, sondern an französisch-klassizistischen Bearbeitungen. Konsequenter Weise motiviert daher das Libretto Otellos blinde Eifersucht samt schließlicher Mordtat sowie Jagos schieren Vernichtungswillen nach damals gut aufklärerischem Begriff soweit nur möglich rational. Jenes geschieht durch eine Briefintrige, in der Desdemonas liebevolle Zeilen an die Titelfigur zur Avance an den sie zwar anschmachtenden, von ihr aber längst ausgemusterten Rodrigo, denunziert werden. Von Desdemona verschmäht wird auch Jago, dessen gekränkte Eitelkeit den Intriganten in ihm entfesselt.
Kompositorisch nimmt die Oper durch zahlreiche rossinitypische Schönheiten, allererst aber den höchst avancierten zukunftweisenden Schlussakt ein. Wie Rossini darin die Rezitative mit Spannung lädt, wie er aus dem „Lied an die Weide“ eine große dramatische Szene wachsen lässt, überzeugte selbst Zeitgenossen, die dem Schwan von Pesaro sonst wenig Wohlwollen entgegen brachten.
Vokal gilt Rossinis Otello als Kuriosum und höllisch schwer zu besetzende Herausforderung. Sechs der sieben Männerrollen sind Tenören vorbehalten. Lediglich die überschaubare Partie von Desdemonas Vater Elmiro ist einem Bass zugewiesen. Zudem hatte der Direktor des Uraufführungshauses zwei führende Tenöre unter Vertrag, sodass Rossini gehalten war, zwei mindestens vokal gleichwertige Hauptrollen fürs nämliche Stimmfach zu schreiben. Der Komponist zog sich glänzend aus der Affäre. Während er mit der Titelfigur einen Vorläufer der Heldentenöre schuf, verlangt der im Liebeshandel unterlegene Rodrigo nach einem tenore di grazia. Der hinter den Protagonisten nur wenig zurückstehende Jago schließlich tendiert zum Charakterfach.
Regisseur Damiano Michieletto umgeht in der aus dem Theater an der Wien nach Frankfurt übernommenen Produktion das blackfacing der Titelfigur, indem er Otello einen arabischen Geschäftsmann sein lässt, der die Aufnahme in Venedigs kommerzielle Elite begehrt. Deren Vertreter stellt Michieletto in einem während der Ouvertüre sich Zug um Zug formierenden lebenden Bild vor Augen. Vordergründig betrachtet klammert die Regie das Politische zu Gunsten privater Konflikte aus. Privatleidenschaften des Geliebten wie der von ihr mit Körben bedachten Freier bestürmen Desdemona. Private Leidenschaften stacheln die Rivalen um ihr Herz gegeneinander auf. Doch schwelt unter dieser Oberfläche das Politische. Otello bleibt Außenseiter. Gnadenlos wird die in Venedig gegenüber Vertretern anderer Kulturkreise geübte Toleranz suspendiert, sobald sich Konkurrenzverhältnisse ergeben. Wenn Jago im ersten Finale in einen Topf mit schwarzer Farbe langt, die Rivalen damit beschmutzt, die an die Wand gepresste Desdemona einrahmt und die Besudelung im rasanten Crescendo auf den Chor übergreift, dann offenbart sich, welch schmutziges Spiel in der Lagunenstadt getrieben wird. Freilich haftet bei Michieletto den beiden Folgeakten allzu viel von einem Salonstück an.
Die Bühne von Paolo Fantin zeigt auf trapezoidem Grundriss marmorgetäfelt protzig-fade Marmorsäle, deren Wände hinsichtlich der Höhe des Frankfurter Bühnenportals unproportioniert niedrig geraten. Störend viel Fläche im Bühnenturm muss daher schwarz abgehängt werden.
Die Macher der venezianischen Ökonomie steckt Carla Teti ins fade Businesseinerlei. Otello laviert krawattenlos und mit geschlossenem obersten Hemdknopf unter dezent schwarzem Turban auch kostümlich zwischen Orient und Okzident. Bisweilen hat er einen Gebetsteppich dabei.
Musikalisch präsentiert sich der Rossini- Otello in der Mainmetropole auf bedeutender Höhe.
Von Tilman Michael vorbereitet, tönt der Chor der Oper Frankfurt zunächst kraftvoll, präzise und durchschlagskräftig, später eher unspezifisch.
Mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester kreiert Sesto Quatrini einen ungemein federnden und flexiblen, dabei höchst kultivierten Rossini, dessen für den Komponisten ungewöhnlichen Farbenreichtum Maestro und Klangkörper nuanciert entfalten.
Das Solistenensemble gibt sich ausgezeichnet aufeinander abgestimmt . Mit Enea Scala verfügt die Produktion über die Idealbesetzung für die Titelpartie. Sensibel phrasierend, gebietet Scala gleichermaßen über seine bronzierte Mittellage wie unangestrengte Höhe. Jack Swanson beweist als Rodrigo stupende Höhensicherheit. Stilistisch auf dem Weg zum vollendeten tenore di grazia, wird er im Verlauf der Aufführungsserie gewiss noch an Eleganz gewinnen. Rollenadäquat charaktertenoral, gleichwohl zu viriler Attacke fähig, versteht sich Theo Lebow zu profilieren. Nino Machaidze leiht Desdemona ihren volumensatten, dennoch auf fortwährend anmutiger Linie agierenden Sopran.