Übrigens …

Falstaff im Theater Osnabrück

Am Ende war alles ein großer Spaß

Nein heißt nein, wenn es darum geht, jemanden „anzubaggern“ und ihn oder sie dabei zu berühren. Wenn, dann einvernehmlich! Aber der in die Jahre gekommene Sir John Falstaff kennt diese Regel offensichtlich nicht. Er will es noch einmal versuchen, sein aktuell unerfülltes Liebesleben zu aktivieren. Aus seiner Matratzengruft heraus - er residiert in der arg heruntergekommenen Pension „Zum Hosenbande“ - schreibt er auf seiner Schreibmaschine mit lindgrünem Plastikgehäuse Liebesbriefe. Gleich zwei auf einmal! Auf Alice Ford hat er es abgesehen, und auf Meg Page. Dass beide verheiratet sind, ist wurscht. Weniger dagegen die Tatsache, dass beide Damen die gut gefüllten Kassen ihrer Ehemänner hüten. Das könnte dem armen Falstaff aus seiner Bredouille helfen, denn so wie er an Körpergewicht zugelegt hat, so ist sein eigener Kassenbestand dahingeschmolzen. Wein und feine Speisen haben halt ihren Preis!

Dies der Beginn der heiter-melancholischen Geschichte, die William Shakespeare erfunden, Arrigo Boito zu einem Opernlibretto geformt und Giuseppe Verdi zu einer genialen Oper gemacht hat. Das Ende dieses Geniestreichs, dem letzten aus der Feder Verdis, ist bekannt: „Alles auf Erden ist Spaß!“ Und einen Riesenspaß bereitet auch Adriana Altaras‘ Falstaff-Inszenierung, die schon allein optisch jede Menge her macht. Das heruntergekommene Etablissement, in dem Falstaff haust, der verstaubt wirkende Speiseraum dieses Gasthauses an der Themse, die schrägen Typen Bardolfo und Pistola, der honette Gastwirt, der einem Privat-Butler Falstaffs gleicht… Das alles ist originell und liebevoll gemacht. Und Falstaff? Irgendwie bekommt man Mitleid mit dem einst so stolzen Ritter, der doch eigentlich nichts Böses will. Sicher: sein Ansinnen, gleich zwei ehrenwerten Damen nachzustellen, sorgt bei denen zu Recht für Empörung. Und natürlich bei Alice Fords Gatten, der den Verführer stellen will - und der dann ja auch die Quittung bekommt, indem er unsanft in die Themse abgeladen wird und triefnass aus ihr entsteigt. Nicht genug damit: die Bagage, die sich gegen Falstaff zusammengerottet hat, piesakt ihn bei einem vermeintlichen Stelldichein mitten in der Nacht in einem unheimlichen Wald! Am Ende aber entspannt sich die ganze Lage - „Tutto nel mondo è burla“.

Adriana Altaras schafft es, die Geschichte ununterbrochen „am Laufen“ zu halten. Kein Moment, in dem Stillstand herrscht. Virtuos ihre Personenführung in den zahlreichen Ensembles, den Auftritten des Opernchores; selbst aktuell an der Handlung unbeteiligte Figuren geraten in den Blick der Regisseurin. Und genauso prima wie die Inszenierung ist auch der Gesang! Durchweg und ohne Ausnahme. Da ist Rhys Jenkins in der Titelrolle, der ebenso souverän singt wie er spielt. Da sind Jessica Rose Cambio als vornehme Alice Ford und Olga Privalova als etwas burschikosere Meg Page… tolle Rollenporträts mit großen Stimmen. Ebenso Daniel Wagner als „Mädchen-für-alles“-Kellner Fenton und Erika Simons als quirlige Nannetta, die am Schluss bekommen, was sie sich immer gewünscht haben: das Leben zu zweit. Der leicht hyperaktive Dr. Cajus, dem das Mädel von ihrem Vater eigentlich schon versprochen war, geht leer aus - und Mark Hamman, Osnabrücker Tenor-Urgestein mit kraftstrotzender Kehle, guckt in die Röhre. Jan Friedrich Eggers in der Rolle des Ford darf sich beruhigen: es ist nichts geschehen. Nicht zu vergessen sind die sich herrlich komödiantisch gebenden Yohan Kim und José Gallisa als Bardolfo und Pistola. Schließlich spielt auch er charmant seine Rolle: Andreas Schön als Gastwirt/Butler von beeindruckender Statur.

Giuseppe Verdis Musik liegt an diesem Abend in besten Händen bei Andreas Hotz, seit 2012/2013 GMD in Osnabrück. Sein Orchester, das Osnabrücker Symphonieorchester, feiert in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag. Taufrisch klingt es bei Falstaff aus dem Graben, delikat in den unterschiedlichen Farben, füllig, aber nie wuchtig in den Tutti-Passagen. Und auch die vielen tückischen Klippen dieser Partitur - rasche Tempi etwa, die zwischen Orchester und Ensemble auf der Bühne präzis verzahnt sein möchten - gelingen (fast) ausnahmslos gut. Auch der Opernchor meistert seinen Part mit Bravour.

Spürbar wird in jedem Moment: hier haben alle Beteiligten großen Spaß an großer Oper. Der Funke der Begeisterung springt unmittelbar auf das Premierenpublikum über: stürmischer Applaus!