Brand im Schaspiel Frankfurt

Strenger Richter aller Sünder

Das „Dramatische Gedicht“ um den ;seinen Glauben bis in die verhängnisvollsten Konsequenzen vortreibenden, Geistlichen, dessen Unbedingtheitsanspruch zugleich abstößt und fasziniert, hatte bei seinem Erscheinen im Jahr 1866 zunächst als Lesedrama so durchschlagenden Erfolg, dass Ibsen fortan als freier Schriftsteller leben konnte. Die Uraufführung fand erst 1885 in Stockholm statt. Selbst in Ibsens norwegischer Heimat hält sich das Stück am Rand des Repertoires auf - hierzulande ist es eine Rarität. Hinrich Schmidt-Henkel hat die vierhebigen Jamben des Originals für das Frankfurter Schauspiel in eine Prosa übertragen, die einen ganz eigenen Sog erzeugt.

Brand kennt weder Nachsicht mit sich selbst noch mit anderen. Trost bringt er allein mit dem Sterbesakrament, für das ihm kein Weg zu beschwerlich und gefährlich ist. Nur die eigene Mutter nimmt er davon aus, da sie - statt seiner Forderung zu gehorchen und ihr gesamtes Vermögen wohltätigen Zwecken zu vermachen - nur die eine Hälfte für mildtätige Werke vorsieht, die andere aber dem Sohn hinterlässt, der davon eine gewaltige neue Pfarrkirche baut. Dem ärztlichen Rat, aus dem für sein Kind klimatisch schädlichen Ort fortzuziehen, verweigert sich Brand, habe doch auch Gott den eigenen Sohn geopfert. Später nötigt der Eiferer seine Frau Agnes, die Kleidung des verstorbenen Kindes bis hin zum Häubchen des Kleinen, das sie als Erinnerungsstück am Herzen trägt, an eine Bettlerin abzugeben und dies als ihren freien Willen zu bekunden, da die gute Tat sonst in Gottes Augen wertlos sei. Agnes geht in den Freitod. Schließlich überwirft sich Brand mit seinen Vorgesetzten und macht sich mit seinen Anhängern ins Gebirge auf, um dort die wahre Kirche zu errichten. Das Unternehmen scheitert, weil die geschickt lancierte Falschmeldung von einem ungeheuren Fischschwarm Arbeit und Einkommen verspricht. Brand stirbt einsam in Schnee und Eis.

Leicht hätte sich für Roger Vontobel die Titelfigur zum gnadenlosen Fundamentalisten modeln lassen. Doch geht der Regisseur den beschwerlicheren Weg und arbeitet präzise heraus, mit welcher Welt Brand konfrontiert ist. Denn des Geistlichen Kompromisslosigkeit resultiert vor allem aus der Neigung seines Umfelds zu Halbheiten und faulen Übereinkünften. Da ist die weniger am Seelenheil als auf das institutionelle Funktionieren ausgerichtete Staatskirche, der sein Fähnchen in den Wind hängende Landrat, der sich mit seinem klischeehaften Gottesbild begnügende Maler und allen voran die Liebe durch Raffgier ersetzende Mutter des Pfarrers. Sie alle und viele andere schieben im Ernstfall jeden noch so guten Vorsatz roh beiseite. Für den Geistlichen spricht mehr noch als das widrige Milieu die aufrichtige Liebe zu Agnes und der Versuch, ihr ein guter Ehemann zu sein. Wenn Brand das Ende der Wäscheleine hält, an der die junge Mutter die frisch gewaschene Kinderkleidung aufhängt, verschaffen sich Brands Zuneigung, Mitfühlen und der Wunsch nach familiärer Vertrautheit Geltung. Doch überwältigt die geistliche Berufung das private Wünschen. Die Leine fährt ihm aus den Händen, die Wäsche fällt zu Boden. Blankes Entsetzen stiftet das heiligabendliche Dreieck aus Bettlerin, der ihr Kind betrauernden Agnes, die, um den Ansprüchen des unbarmherzig Barmherzigkeit fordernden Ehemanns zu genügen, das mit dem Todesschweiß ihres Kindes getränkte Häubchen hergibt.

Für Vontobels intensives Schauspielertheater stellt Olaf Altmann einen in die lebensfeindliche düstere Weite und Tiefe der Bühne regelrecht versenkten Raum bereit, der gleich einer beständigen Drohung von einer monumentalen Stichkappe überwölbt wird. Der Bühnenboden hebt sich zur güldenen Kirchenwand. Einzig ein Dom aus Edelmetall soll des Pfarrers maßlosen Forderungen genügen.

So zeitlos wie möglich und so konkret wie nötig kleidet Ellen Hofmann die in ihrer sozialen Position auch kostümlich präzise umrissenen Figuren.

Heiko Raulin zeichnet die Titelfigur als Mann monströser Postulate, ohne selbst ein Monster zu sein. Raulin unterschlägt weder das Wunde noch Anrührende im Prediger. Jana Schulz ist eine ihre Situation klar realisierende Agnes. Keineswegs fragil, zerbricht sie dennoch unter der Strenge des Ehemanns. Katharina Bach gibt die irrlichternde Bettlerin Gerd. Isaak Dentler überzeugt als windiger Landrat, Michael Schütz als Arzt von praktizierter Humanität.