Kinder ohne Jugend
Wer macht uns zu guten oder schlechten Menschen? Die Gene? Die Gesellschaft? Die Erziehung von Mami und Papi? Oder wir selbst, unser eigener Wille? Für eine ganze Reihe von Autoren und Kreativen war das Böse in uns Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Arbeit. Der Meister der Spannung, Alfred Hitchcock, etwa bannte die Wohlstandverwahrlosung und persönliche Hybris mit „Rope/Cocktail für eine Leiche“ in ein eindringliches Sittengemälde der New Yorker Upper Class: Da begehen zwei verwöhnte Schnösel den angeblich perfekten Mord. Der größtenteils aus einer Kameraperspektive gedrehte Film fokussiert auf die Truhe, in der die beiden den Ermordeten gesperrt haben - für die abendliche Party wird selbige dann als Buffet genutzt.
Der Thrill, entdeckt zu werden, als einziges Vehikel, um sich als Mensch noch selbst zu spüren.
Nun also Kameraschwenk ins Berliner Deutsche Theater. Da bleibt der Blick auf Das Gewächshaus gerichtet. Das steht draußen vor den Toren der Stadt. Fernab aller Blicke der Erwachsenen treffen sie sich, die von ihren Hormonen, Träumen und Sehnsüchten getriebenen Jugendlichen (Bruno Liebler; Pavlos Anesiadis; Frida Lang; Anna Lencer; Livia Marlene Wolf; Jasmin Sebbastiani; Kya-Celina Barucki - intensiv-eindringliches Spiel der jungen Darstellerinnen und Darsteller), sie leben sich dort aus, erproben ihren Mut: „Zeig mir Dein bestes Orgasmusgesicht!“, heißt einer dieser Sätze, mit denen Autor Jordan Tannahill (Übersetzung: Frank Weigand) einen Zeitgeist auf den Punkt bringt, der eine von Pornotube und Facebook-Hinrichtungsvideos umgebene Generation umweht.
Und es ist auch ein bekannter Mechanismus, dass die ältere Generation jeweils auf die Jugend blickt, die dann - klar doch - schlechter ist, als man selbst in seiner eigenen Jugend. Mit der Programmreihe „Junges Deutsches Theater“, die aktuell Zehnjähriges feiert, gibt das Berliner Haus jungen Autorinnen und Autoren sowie Darstellerinnen und Darstellern Rahmen und Raum, die eigene Sicht auf die Realität in den Austausch mit dem Publikum zu stellen und unter anderem so zum Verständnis zwischen den Generationen beizutragen.
Das Gewächshaus ist eine dichte und - bei allem Sprach- und Wortwitz - bedrückende Kolportage zu Jugend und Erwachsenwerden. Ein Mord konfrontiert die sich im Gewächshaus versammelten Jugendlichen mit individueller Schuld.
„Die Gleichgültigkeit ist - neben der Vulgarität - das breiteste Einfallstor für das Böse!“ zitiert das Deutsche Theater im Programm Wolfgang Sofsky.
Was bleibt? Wir alle sind aufgefordert, für weniger Gleichgültigkeit zu sorgen und als Gegenutopie den Respekt vor Menschen und Kunst zu setzen. Den hat sich das Team von Das Gewächshaus mehr als verdient - am Ende waren die jungen Mimen sichtlich ausgepowert, und der Applaus zauberte ihnen ein breites Lächeln ins Gesicht.