Grand opéra par excellence
Die fünfaktige Version des Don Carlos gelangt meist in der italienischsprachigen Modena-Fassung aus dem Jahr 1886 zur Aufführung. Die französische Grand opéra der Pariser Uraufführung von 1866 gerät darüber beinahe in Vergessenheit. An der Königlich Wallonischen Oper beweist sie nun ihre Meriten. Denn, was in der - mit nur einer Pause - viereinhalbstündigen Aufführung sich an beinahe unbekanntem Verdi vernehmen lässt, raubt bisweilen den Atem. Der in der Modena-Fassung eher zum Prolog herabgestufte erste Akt, kommt in Liège vollgültig daher. Die Annäherung von Infant und Elisabeth erhält endlich einmal Zeit und Raum, so dass beider namenloses Entsetzen über den Austausch des Bräutigams begreiflicher wird. Im Garten von Yuste taucht der sinnliche Chor der Hofdamen Ebolis Schleierlied in eine erotisch aufgeladene Atmosphäre. Der intensiv ausgespielte Masken- und Mantillentausch der Fürstin mit ihrer Königin motiviert schlüssig, weshalb der Infant der Eboli zunächst auf den Leim geht. So entspinnt sich denn die Tragödie ohne Längen und mit bemerkenswerter Folgerichtigkeit und Nachvollziehbarkeit. Hausherr und Regisseur Stefano Mazzonis di Pralafera gibt der Grand opéra, was ihr gebührt. Der Zug ins Monumentale, die Aufmärsche und Tableaus, schließt freilich Situationen der Intimität nicht aus. Kaum je war der Abschied der Königin von der ihr vertrauten Gräfin Aremberg inniger zu sehen. Kaum je die Einsamkeit Philipps, dem allein sein Windspiel die zärtliche Aufmerksamkeit dankt. Gary Mc Cann nutzt drehbare und wechselnd kombinierte Fassaden für Renaissanceschauplätze, die ornamentgesättigte Opulenz mit bühnenbildnerischer Ökonomie vereinbaren. Fernand Ruiz kleidet die Personage in die verschwenderische Fülle höfischer Haute Couture des 16. Jahrhunderts. Die farblich erlesenen Stoffe schimmern, funkeln und glänzen. Musikalisch spricht die Produktion vor allem durch die Harmonie der solistischen Timbres an. Indem sich im Freundschaftsduett von Carlos und Posa deren warm getönte Stimmen im Piano mischen, beglückt die Hörer pure Schönheit. Gregory Kunde in der Titelpartie nimmt durch Stilsicherheit im Metier der Grand opéra, Legatokultur und unangestrengte Höhen für sich ein. Den Posa gibt Lionel Lhote hochelegant mitbalsamischem Wohllaut. Ildebrando D'Arcangelo verleiht Philipp auch vokal noble Statur. Bestens fokussiert und noch in den dramatischen Ausbrüchen voll edler Zucht formatiert Yolanda Auyanet ihre Elisabeth. Vokal besticht die Eboli von Kate Aldrich sowohl durch Agilität und Wendigkeit wie durch Attacke. Aufhorchen lässt ferner der Thibault der jungen Caroline de Mahieu. Der Chor der Opéra Royal de Wallonie unter Pierre Iodice grundiert effektvoll die Riesentableaus. Sonderlich hervorgehoben zu werden verdienen die Chordamen im Garten zu Yuste. Mit dem schlank und transparent aufspielenden Orchester der Königlich Wallonischen Oper ist Paolo Arrivabeni Solisten und Chor ein sängerfreundlicher Begleiter.