Übrigens …

Tage des Verrats im Staatstheater Mainz

Machiavellistische Machenschaften

Im Kleinen Haus des Mainzer Staatstheaters sind die Zuschauersitze durch Sofas und Gartenbänke ersetzt. Wer zu einem gemeinsamen Haushalt gehört, darf zu zweit Platz nehmen. Einzelbesucher haben die Sitzmöbel für sich. Von den eigentlich 400 Plätzen bleibt so zwar nur ein Bruchteil, aber immerhin macht sich nicht die Tristesse gähnender Leere breit.

Regulär waren Tage des Verrats als vorletzte Sprechtheaterproduktion der Saison vorgesehen und hätten am 23. April Premiere haben sollen. Jetzt gelangt - übersetzt vom Mainzer Hausregisseur K. D. Schmidt und von Boris C. Motzki, Dramaturg am Staatstheater - die deutschsprachige Erstaufführung des 2008 am Off-Broadway aus der Taufe gehobenen Wahlkampfthrillers in einer auf die Covid-19-Situation abgestimmten die Ausnahmelage freilich nahezu vergessen machenden Variante auf die Bühne.

Der Intrigenplot basiert auf eigenen Erlebnissen des Autors als Mitarbeiter in Hillary Clintons Wahlkampfkampagne um den Senatssitz für New York im Jahr 2000. Zudem spielt sehr frei Howard Deans' Ringen um die Präsidentschaftskandidatur für die Demokraten in die Handlung hinein. George Clooney verfilmte das Stück unter dem Titel The Ides of March.

Willimon, Erfinder und bis 2016 auch Autor der Netflix-Serie House of Cards, knüpft bereits in diesem früheren Werk ein virtuoses Gespinst von Intrigen, in dem sich der Karrierejournalist Stephen Bellamy, Pressesprecher des - fiktiven - Präsidentschaftskandidaten Morris, heillos verfängt. Eitel, neugierig und immerfort Karriereoptionen witternd, trifft sich Bellamy mit dem auf Abwerbung des jungen Talentbolzens sinnenden Wahlkampfmanager der Gegenseite. Nachdem aber des Pressesprechers Noch-Chef Paul Zara Wind von der konspirativen Zusammenkunft bekommen hat, feuert er den illoyalen Mitarbeiter. Das fällt Zara umso leichter, als sich Bellamy mit der Praktikantin Molly eingelassen hat. Zwischen den Fronten manipuliert Starjournalistin Ida Horowicz die Beteiligten, um sich die nächste Exklusivstory zu sichern.

Zwar greift der The Ides of March beschwörende Filmtitel für das Stück viel zu hoch, weil keine der Figuren die Fallhöhe eines Caesar oder Brutus besitzt, mitunter aber kommt dennoch ihres rhetorischen und poetischen Ornats entkleidetes Shakespeare-Personal in den Sinn. Denn fraglos serviert Willimon einen dramaturgisch brillant gebauten Reißer mit starkem Wirklichkeitseinschlag und menschlichen Ekelpaketen, angesichts derer das Publikum wohlig fröstelt.

In Mainz macht das Stück viel Effekt. Regisseur K. D. Schmidt lässt das Distanzgebot beinahe vergessen, so dicht rücken sich die sieben Figuren verbal auf den Leib. Zudem scheinen sie sich physisch näher, als das tatsächlich der Fall ist.

Wesentlich verdankt sich solch täuschende Optik der Hingucker-Bühne von Thomas Drescher. Den Bühnenraum erschließen steile, sich kreuzende Laufstege, darauf drei wie auf die weitere Montage am Fließband wartende Autokarosserien. Alles in klinischem Weiß. Wo die Fahrzeuge der Fertigstellung harren, da laufen die menschlichen Verhältnisse auf den Crash zu. Rein bühnenpraktisch gestatten die Laufstege, das Distanzgebot nicht einzig horizontal, sondern überdies vertikal umzusetzen, die Spieler dürfen sich daher für das Auge gefährlich nahe kommen.

Die Videos, die Christoph Schödel auf die Szenerie projiziert, transportieren stakkatohaft die Rasanz und den Stress amerikanischer Wahlkampfkampagnen.

Julian von Hansemann bringt den Pressesprecher Stephen Bellamy auf atemlose Touren. Seinem Chef Paul Zara gibt Klaus Köhler eine gewisse Lässigkeit mit auf den Weg, die freilich dessen Unerbittlichkeit nur zeitweise zu überspielen vermag. Martin Herrmann demonstriert als Tom Duffy, dem Wahlkampfmanager der Gegenseite, durchtriebenste und in jedem Fall siegreiche Machtarithmetik. Hannah von Peinen drapiert die ihre Umgebung ebenso zielsicher wie skrupellos instrumentalisierende Starjournalistin Ida Horowicz mit burschikosem Charme.