Distanzgebot und Abstandsnot
Vier Personen auf der Bühne. Was in Zeiten vor der Covid-19-Lage Theateralltag war, gestaltet sich unter den Vorzeichen der Seuche zu einem Wagnis. Das Hessische Staatstheater Wiesbaden, dessen Hausherr Uwe Eric Laufenberg in sieben vor einigen Wochen auf der Homepage des Hauses veröffentlichten „Solo-Diskursen“ mit der Situation seines durch die Pandemie lahmgelegten Hauses beinahe so gerechtet hatte wie einst Ijob mit seinem Schöpfer, wuchtet nun mit Glückliche Tage, Endspiel und Warten auf Godot couragiert eine Beckett-Trilogie auf die Bühne, die sich dem unerbittlichen Anspruch des Intendanten auf Wiederaufnahme des Spielbetriebs verdankt. Mag sein, der Mensch ist eben doch nur dort wirklich Mensch, wo er spielt. Die Endspiel-Premiere setzt sich aber nicht allein über die gegenwärtigen Unbilden der Pandemie hinweg, sie trotzt zudem den üblichen Unwägbarkeiten des Theaters, die dazu nötigen das Endspiel kurzfristig dem Warten auf Godot voranzustellen. Zwar nicht die Seuche war einem der Spieler zu Leibe gerückt, eine andere Krankheit hindert ihn am Premiereneinsatz. Für ihn springt der textsichere Souffleur ein. Die Vorstellung ist gerettet.
Nicht minder absurd als die Situation bei Beckett mutet die im Zuschauersaal an. Gerade 200 der über 1000 Plätze im Großen Haus des Hessischen Staatstheaters durften verkauft werden. Wahrscheinlich übersteigt die Zahl der stuckierten Götter, Personifikationen und Putten im Proszenium und an den Rängen des historischen Auditoriums die der Besucher aus Fleisch und Blut.
Hausherr und Regisseur Laufenberg ist Mann des Literatur- und Schauspielertheaters. Becketts sprachgewaltige Dystopie kommt ihm da recht. Ebenso die das Einhalten des Abstandsgebots auch konzeptionell rechtfertigende Isolation der Figuren. So badet denn Christian Klischat seinen Hamm geradezu in durchtriebener Suada. Ob in den Dialogen oder im Solo-Diskurs, Klischat scheut nicht vor einem offensiven, an den geeigneten Stellen geistreich abschattierenden Deklamationsstil, in dem Becketts „Schauspielerarien“, wenngleich längst sinnfrei und nichtig, in all' ihrer Brillanz und Fragwürdigkeit aufleben. Bernd Ripken gibt einen noch in prekärer Lage sympathisch-charmanten Nagg und bringt damit eine final freilich zertrümmerte boulevardeske Note wie von der am Theater vorbeiführenden sich mondän gebenden Wilhelmstraße ins Stück. Nell wird von Evelyn M. Faber vor allem dann profiliert, wenn die beiden Alten ebenso wie von den Müllcontainern, in denen sie hausen, durch das gegenwärtige Distanzgebot an Küssen und Umarmungen gehindert werden. Einspringer Philipp Appel schlägt sich als Clov textsouverän und wacker.
Rolf Glittenberg situiert die Beckettsche Dystopie in einem weitläufigen durch etwa zimmerhohe weiße Wände begrenzten Raum mit vollgemülltem Boden. Nell und Nagg vegetieren in den üblichen Müllcontainern. Hamm klebt in einem fahrbaren Ohrenbackensessel.
In Schwarz und Braun irgendwo zwischen Straßenanzug und Kaftan gehüllt, hält Hamm in Marianne Glittenbergs Kostüm die Mitte zwischen heruntergekommenem Despoten und orientalischem Märchenerzähler, der schon weitaus glücklichere Tage gesehen hat. Zur boulevardesken Nonchalance Naggs passt der Smoking.
Dass der Abend stattfindet, beglaubigt seinen Wert an sich. Besser aber noch, dass das künstlerische Ergebnis sich sehen lassen kann.