Übrigens …

Warten auf Godot im Staatstheater Wiesbaden

Wenn Warten zum Alibi wird

Am letzten Abend der Beckett-Trilogie muss der Hausherr und Regisseur selbst auf die Bühne. Uwe Eric Laufenberg besinnt sich auf seine ursprüngliche und immer einmal wieder gepflegte Schauspielerprofession und springt für den erkrankten Kollegen ein, der bereits den Clov in Endspiel abzusagen genötigt war. Der Wiesbadener Intendant ist nun Wladimir und auch die finale Premiere der Beckett-Trilogie gerettet. Bei nur wenigen Tagen Vorbereitungszeit kann das nicht allzu textsicher geschehen. Dennoch bewährt sich Laufenberg als Theatergaul, um kein anderes Viech ins Feld zu führen. Seine eigene Inszenierung kennt er wie kein anderer. Not münzt er in Tugend um, indem er sich als glänzender Improvisator zeigt. In den besten Augenblicken mutieren seine Hänger zum Spielball. Will der Souffleur ihm dann auf die Sprünge helfen, lehnt Laufenberg dankend ab, weil er die Passage bereits im mitgeführten Textbuch gefunden hat. In Sybille - alias Bill - Weiser findet Laufenberg eine Spielpartnerin, auf deren Souveränität er sich unbedingt verlassen kann. Offenbar hieß ihr Estragon einst Gelsomina und ist - der Streifen entstand um die Zeit der Uraufführung des Beckettschen Werks - aus Fellinis La Strada entfleucht. Mag immer sie das Beckett-Stück in die Zwangsjacke unablässig repetierter Muster schnüren, Gelsomina-Estragon bewahrt dortselbst berührenden Charme und Anmutsreste. Pointen setzt Weiser ebenso leise wie treffsicher. Eine gewisse Grundtraurigkeit ist ihr immerfort anzumerken. Der Pozzo von Christian Klischat versteht sich auf das gefährliche Zischen wie das brutale Bellen des Berufssadisten. Atef Vogel kommt als Lucky ebenso lächerlich wie Mitleid weckend über die Rampe.   

Als Regisseur deutet Laufenberg das gegenwärtig herrschende Distanzgebot erneut zur inhaltlichen Grundkonstituante um. Wieder ist die Sehnsucht nach Umarmung und Nähe groß. Immer neue Versuche, die Distanz zu durchbrechen, scheitern an der Unerbittlichkeit der Abstandsforderung. Ein Stock dient den beiden Clochards dazu, die Mindestdistanz auszumessen. Doch so mächtig das Verlangen nach Nähe auch ist, mächtiger noch ist die Furcht vor jeglichem Wandel. Warten wird zum Lebensersatz. Zum bloßen Alibi.

Rolf Glittenberg stellt eine schräge Ebene samt einsamem Baum, an dessen einzigem Ast immerhin - wenn auch verlorenes - Grün austreibt, in den tiefschwarzen Bühnenraum. Das sensible Licht, in das Andreas Frank die Szenerie taucht, verleiht dem Irgendwo-Nirgendwo eine beinahe allzu poetische Note.

Wladimir und Estragon staffiert Marianne Glittenberg als die beiden Streuner aus, die sie eben sind. Pozzo tritt im Maßanzug auf. Lucky kommt als klinisch weißes Labortier daher, sei es Maus, Ratte oder Kaninchen.

Warten auf Godot in Wiesbaden fragt nach aktueller Befindlichkeit. Fügen wir uns - wie Wladimir und Estragon - der gesellschaftlichen Lähmung oder bezwingen wir das Fatum namens Corona? Wie sehr jedenfalls Becketts Stücke und deren Wiesbadener Umsetzungen auch den Stillstand zeigen, die Tatsache, dass die Beckett-Trilogie unter den Vorzeichen dieser Tage auf die Bühne gelangt, enthält revoltive Kraft.