Lieben und Entlieben
Die Liebe vermag viel zu bewegen. Die Liebe besitzt Kraft. Doch die Kraft der Liebe kann auch eine zerstörerische sein. Heißt es nicht, dass der Hass die Kehrseite der Liebe sei? So ist es wohl, und das Deutsche Theater führt seinen Besucher*innen diesen Zusammenhang mit dem dichten Psychogramm Woyzeck interrupted vor Augen: Traurig, verstörend, aktuell und eindringlich.
Da nimmt das Dramatikerin/Regisseur-Duo Mahin Sadri und Amir Reza Koohestani den Woyzeck und reichert die Idee Büchners mit aktueller Brisanz zum Thema „Femizid“ an: „Der Status und das Selbstbild vom alleinigen Ernährer und Entscheidungsträger wird zunehmend in Frage gestellt durch gut ausgebildete Frauen und deren Streben nach Autonomie. Der verzweifelte Versuch, die alten Machtverhältnisse wiederherzustellen, kann bis zum Mord an der Person gehen, die sich dieser Hierarchie entzieht.“, sagt die iranische Dramatikerin Sadri.
Gut alle drei Tage tötet ein Mann in Deutschland seine Partnerin oder Exfreundin. Sensibel scheint sie zu sein, die männliche Psyche und für weibliche Kränkungen anfällig. Und sie ist auch irgendwie eine echte Zicke, könnte man machohaft sagen, diese Marie (toll-facettenreich gespielt von Lorena Handschin). Warum zieht die Theaterhospitantin auch beim Schauspieler (gibt den Woyzeck als zerrissenen Typen irgendwo zwischen Kraftmeierei und sensibler Selbstanalyse: Enno Trebs) ein, wenn sie ihn nicht liebt und nicht mal Mutter seines Kindes werden will? Die Zwei lernen sich bei den Proben kennen, die Trennung ist beschlossene Sache, doch der Lockdown kettet sie irgendwie aneinander: Da werden DVDs geschaut und, klar doch, rumdiskutiert. Der arme Woyzeck-Mann wimmert mal rum, bettelt um die Liebe der lieben Marie, ist erst wütend, dann verzweifelt. Die künstlich durch die Kasernierung erzeugte Intimität erscheint deplatziert angesichts der Unklarheit der Gefühle und eine Eskalation absehbar. Zu viel Nähe und zu wenig Autonomie haben noch nie gut getan - zudem wenn einer mehr liebt als der andere.
Das ist attraktiv in Szene gesetzt mit einem schlicht-überzeugendem Bühnenbild und der Überblendung der Online-Version des Stücks (Bühne: Mitra Nadjmabadi).
Was die Sadri-Koohestani-Produktion indirekt aufzeigt, ist, dass Männer und Frauen mitunter unterschiedliche Sprachen sprechen: Missverständnisse, unausgesprochene Erwartungen, Forderungen statt Empathie und Machtkämpfe statt Unterstützung heißen die Formeln unserer beziehungsgestörten Gesellschaft. Nicht erst seit Büchner, der seinem Woyzeck – inspiriert nach einem Zeitungsartikel im Jahr 1821 über den Mord aus Eifersucht – emotionale Tiefe abrang, ist die Liebe kompliziert.
Wo Kommunikation versagt, flüchten sich Menschen mitunter in Stereotype. Bei der überforderten Spezies Mann ist dann oft Machoverhalten der Katalysator fürs geschundene Ego. Wie geht’s also weiter in unserer Gesellschaft? Da hätte sicherlich ein stärkeres Ende gesetzt werden können, als offen zu lassen, ob Marie nun tot ist oder doch die Koffer packt und einfach geht. Das Ende wirkt banal, als ob die Inszenierung es allen recht machen wollte.