„Divina“ ist verstimmt
Charakterzeichnungen sind vielleicht der spannendste Part der Theaterarbeit: Wie einer Persönlichkeit schauspielerisch und textlich gerecht werden? Wie die Vielschichtigkeit herausarbeiten? Wie sich jemanden annähern, den der/die Autor*in meist selbst nicht persönlich kannte?
Das Heidelberger Zimmertheater rückt aktuell die Jahrhundertsängerin Maria Callas ins rechte oder vielleicht auch nicht-rechte Licht. Denn „La Divina“, die Göttliche, wie Maria Callas oft genant wurde und sich im textlichen Zugriff von Terrence McNally in der reflektierenden Innenschau hier auch selbst nennt, ist verstimmt: Die Karriere als glamouröse Sängerin beendet, die Beziehung zum Macho-Reeder Aristoteles Onassis gescheitert, von ihrer großen Liebe gar schlecht behandelt und entsorgt worden - nun ist sie Gesangs-Dozentin. Herrisch, fordernd, verletzend, zynisch tritt die Callas in ihrem zweiten Leben auf, das nicht so recht auf den Diva-Körper zu passen scheint. Behandelt selbst schlecht, anstatt die jungen Sängerinnen mit Sensibilität und Kompetenz zu fördern. Das wirkt einerseits überzeugend, anderseits auch irgendwie klischeehaft.
Rose Maria Vischer überzeugt nicht nur optisch als Reinkarnation der Jahrhundertsängerin: Gestus und Mimik erinnern stark an Filmaufnahmen und Interviews, die man von Maria Callas kennt und die wohl Grundlage des McNally-Textes und der Regiearbeit gewesen sein dürften.
Das ewige Kreisen einer begnadeten Frau um sich selbst, die das Schwinden der stimmlichen Präzision nicht zu verkraften scheint, treibt Vischer mit facettenreicher, tiefgründiger Stimmungsausarbeitung voran. Hie werden Verletzungen, Hybris und Selbstzweifel der Göttlichen spürbar.
Am Ende bleibt die Frage, wie wir Maria Callas in Erinnerung behalten wollen: Als die Göttliche, oder als eine verbitterte Frau? Die Inszenierung am Heidelberger Zimmertheater ist in jedem Fall ein überzeugender Einstand von Mindrup in der Nachfolge der erfolgreichen Intendantin Ute Richter, die jahrzehntelang das älteste deutsche Theater in privater Trägerschaft leitete und prägte - und es wird spannend sein, zu beobachten, wie sich das Zimmertheater inhaltlich weiter entwickeln wird.
Geschickt hat er für diese Inszenierung die Zusammenarbeit mit der Musikhochschule Mannheim gesucht, die drei junge Sängerinnen für die psychischen Exerzitien der Göttlichen ans Zimmertheater ausleiht.
theater:pur wünscht dem Heidelberger Zimmertheater und Joosten Mindrup gutes Gelingen für die künstlerische Zukunft!