Treppauf, treppab
Die Uniform macht ihn stark und kaschiert, dass er zu Hause nicht viel zu sagen hat. Szenen einer Ehe, Szenen eines Großmachtpolitikers. Auf einem Tisch die Landkarte, Kästchen werden hin- und hergeschoben, Papierstapel sollen die strategischen und taktischen Pläne bündeln. Ja, von Hammurabi bis Hitler, sie alle schwelgten in Machtphantasien, um an ihnen zu scheitern. Zur Eröffnung der Händel-Festspiele in Karlsruhe, vom Publikum nach der Corona-Pause sehnlichst erwartet und heftig bejubelt, hat Regisseur Floris Visser mit Händels Hercules ein wirkmächtiges Stück inszeniert, das Machtphantasien analysiert, dekonstruiert und stellenweise persifliert.
Die Musikologen ordnen den Hercules als Oratorium ein, in Karlsruhe wird daraus eine vierstündige Oper in englischer Sprache, und dem Publikum sind die feinen Unterscheidungen egal, weil es ein wirkmächtiges Stück auf der Bühne erlebt. Musikalisch großartig von den Deutschen Händel-Solisten und dem Händel-Festspielchor aufgestellt, entfaltet das Psychodrama um eine scheiternden Helden auf der Drehbühne enorme Wirkung. Denn Politik und Privates verschränken sich und befeuern die Handlung, für die Bühnengestalter Gideon Davey ein mindestens großbürgerliches, aber kalt und bar jeder Individualität, ganz in Weiß gehaltenes Gebäude hinstellt. Privat- und Repräsentationsräume wechseln und die Figuren werden treppauf, treppab hin und her gehetzt. Manchmal des Guten zuviel, auch Ideen können sich abnutzen.
Der selbst ernannte Weltenlenker verschanzt sich hinter der Balustrade, auf der ein umlaufendes Fries von seinen gro0en Taten kündet. Um ihn herum die soldatischen Mitläufer, allen voran Lichas (präziser Counter: James Hall). Aber trotz Uniform ist Hercules (stabiler, intensiver Bass-Bariton: Brandon Cedel) recht bedauernswert, denn zu Hause läuft es nicht rund. Die teure Gattin Dejanira, vom Kleiderwahn befallen und von Ann Hallenberg mit modulationsfähigem Mezzo blendend gesungen, steigert sich zunehmend in triebhafte Eifersucht. Wütend wirbelt sie seine Papiere durcheinander, unbeherrscht zerdeppert sie die edle Vase an der Wand, da hilft auch die Amme (Annika Stefanie Netthorn) nicht viel. Auch Sohnemann Hylus erfüllt nicht wie gewünscht die Erwartungen, denn er entpuppt sich eher als schwach, dabei gibt ihm Moritz Kallenberg beste, schlanke Figur und eine Tenorstimme, die Intimität ebenso schön ausdrückt wie die Sehnsucht nach der Gefangenen Iole, die sich als Prinzessin voll zartem Liebreiz mit leuchtend-heller Sopranstimme entpuppt. Lauren Lodge-Campbell singt sie hinreißend in ariosen Bögen, es ist eine Lust, ihr zuzuhören, wenn sie von idyllischen Wiesen und Blumen träumt, doch schließlich und endlich von einer Art Erzbischof Makarios mit Hylos getraut wird.
Doch solches Happy End ist getrübt: Hercules als Intrigenopfer tödlich verwundet, Gattin Dejanira am eifersüchtigen Wahn zerbrochen und abgeführt ins isolierende Separee. Fast wie im wirklichen Leben. Die Seifenoper kann weitergehen. Georg Friedrich Händel hat griffige Musik dazu geschrieben, die von Chor, Orchester, Sängerinnen und Sängern ausgezeichnet präsentiert wurde. Danke für den langen, kurzweiligen Abend.