Eine unfaire Gesellschaft richtet sich selbst
Man könnte jetzt viel sagen, oder vielmehr „schwafeln“, über die aktuelle weltpolitische Lage, über Putin und sein Reich, seine Allmachtsphantasien, über die Menschen in der Ukraine, über Geschichte, Hybris, die russische Seele und warum das Deutsche Theater zum sozusagen genau richtigen Zeitpunkt Auferstehung von Tolstoi aufführt.
Und böse gesagt könnte man dann zu dem ernüchternden Urteil kommen, dass aus Geschichte konsequent nicht gelernt wird und die Texte des Pazifisten Tolstoi wenig gebracht haben, außer, dass seine Zeilen in immer neuen Interpretationen auf die Bühne kommen – und die Menschheit dennoch fröhlich Kriege anzettelt.
Ein Prozess wie ein Comic. Gesellschaftliche Rollen als Farce. Darum geht es in Auferstehung, und mit seinem letzten Text hielt Tolstoi der Gesellschaft, in der er lebte, gehörig den Spiegel vor – der dritte und letzte Roman des Jahrhundertautors wurde 1899 veröffentlicht. Wegen Mordes ist eine Prostituierte angeklagt – sie hat keinen Anwalt und am Ende wird sie schuldig gesprochen. Richter, Geschworene, Staatsanwalt scheinen viel im Kopf und um die Ohren zu haben, nur leider nicht die Gerechtigkeit.
Das war damals so und dass auch heute in Rechtsstaaten vor Gericht durchaus „geadelt“ wird ist kein Geheimnis, dass die Gesetze, die Putin momentan erlässt, alles andere als rechtsstaatlich sind, ist ebenfalls klar.
Das Deutsche Theater händigt im Vorfeld der Premiere den Besucherinnen und Besuchern die „Rede gegen den Krieg“ von 1909 aus, die Tolstoi für einen Friedenskongress in Stockholm geschrieben hatte – der Kongress fand nicht statt und Tolstoi verstarb, so dass die Rede von ihm nicht gehalten werden konnte. Er redet darin von „Vernunft“ und vom „Gewissen“ der Menschen, von „Wahrheit“ und tadelt Kriege als Mord, Patriotismus als frevelhaften Fanatismus.
Regisseur Armin Petras holt sozusagen das Maximum heraus, was man an Bildgewalt erwarten kann: Überspitzte Figurenzeichnung der Schauspielern*innen (alle präzise und prägnant spielend, von Petras allerdings durchaus klischeehaft angelegt: Anja Schneider, Natali Seelig, Katrin Wichmann, Regine Zimmermann, Felix Goeser, Paul Grill, Andreas Leupold, Sven Kaiser), holzschnittartige Milieuzeichnungen, Schatten, karge Landschaften, die irgendwie an die traurigen Momente in „Dr. Schiwago“ erinnern. Einzig, dass Omar Sharif nicht im Hintergrund mit seinen traurigen Augen eingeblendet wird, verhindert, dass die Zuschauer*innen nicht so schnell zum Taschentuch greifen, wie es sich Petras vielleicht erhofft hat. Die Geschichte wird mit gekonnten Rückblenden erzählt, eine riesige Marionette wird auf die Bühne gehievt, die uns plastisch vor Augen führt, wie Fremdsteuerung im Leben funktioniert: Wer die Zügel in der Hand hat, entscheidet, wann der anderer die Hand zum Gruß erhebt.
Erzählt wird der Lebensweg des Fürsten und Players Nechljudow. An der Verurteilung der jungen Jekaterina Maslowa hat er Anteil: Jahre zuvor war er ihr bei seiner Tante begegnet, wo sie als Hausmädchen arbeitete. Er schwängerte sie - aber nicht er trug Verantwortung, sondern sie wurde verstoßen.
Petras skizziert die damalige Gesellschaft als fest durch Kleidung und Habitus gefestigtes Gefüge: Hier die Reichen Grundbesitzer, die heutigen Oligarchen, da die Arbeiter und Bauern, die künftigen Revolutionäre und Leidende einer in sich unfairen Gesellschaftsordnung. Am Ende bleiben bei Tolstoi lediglich Verlierer.
Petras zaubert eine beeindruckende, bild- und assoziationsreiche Inszenierung, in der aber die Grau- und Zwischentöne hier und da zu kurz zu kommen scheinen. Das Spiel der Schauspieler*innen bleibt seltsam fern, die Nähe zu aktuellen Lebenswelten abstrakt, und Tolstois Text dient damit eher als Folie für große Bilder – das mag man mögen, oder auch nicht. Freundlicher Beifall.