Übrigens …

Auslöschung. Ein Zerfall im Berlin, Deutsches Theater

Psychologisch stark inszenierter Bernhard-Text

Dass Komik und Tragik ebenso nahe beieinander liegen wie Hass und Liebe, Freundschaft und Feindschaft, Zorn und Versöhnung, wird bei keinem anderen Autor wohl so deutlich herausgearbeitet wie bei Thomas Bernhard.

Die morbide Textlichkeit Bernhards wird aktuell am Deutschen Theater in Berlin absolut stilsicher von Karin Henkel inszeniert: Die Besucher*innen erwartet ein dunkel-düsterer Märchenwald, in dem sich Text und Figuren brechen. Die Szenerie lässt Hintergründiges mit sanfter Beleuchtung nach vorne treten - doch meist bleibt es dunkel auf der Bühne, die Figuren verloren und in sich isoliert, dramaturgisch zu comichaften Gestalten überzeichnet, oder besser gesagt: reduziert.

Wie lange hören wir eigentlich die Stimme eines Menschen, die wir ein paar Tage vorher noch in Wirklichkeit als die Stimme des Lebenden gehört haben, wenn er tatsächlich plötzlich tot ist? fragte ich mich.“ ist so einer dieser typisch tiefgründigen Bernhard-Zeilen in Auslöschung. Ein Zerfall.

Denn die Hauptfigur Franz-Josef Murau, hier charakterlich und altersmäßig in verschiedene Rollen aufgeteilt (Bernd Moss, Linn Reusse, Daniel Zillmann), muss sich mit seiner Vergangenheit und Kindheit auseinandersetzen. Erfolgreich verdrängt rückt die ihm wieder näher, als seine Eltern bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommen und er auf das verhasste, nazi-verseuchte Landgut seiner Familie zurückkehrt und dort mit einer lieblos-reaktionären Erziehung und seinen verhassten Schwestern konfrontiert wird.

Wenn sich Menschen aus dem, was ihnen von ihrer Familie, ihren Eltern als Wahrheit und richtig beigebracht wurde, heraus entwickeln, versuchen sie dann eine eigene Interpretation von Leben, Welt und Werten dem entgegenzusetzen. So bleiben auch sie irgendwie doch unfreiwillige Gefangene ihrer Vergangenheit. So scheint Bernhard es jedenfalls zu sehen. Bitter, bitter, ist das, wenn Hauptdarsteller Bernd Moss, der das Erwachsenen-Ich Muraus absolut gekonnt, flatterhaft, zerrissen-traumatisiert spielt, die „Nazi Gemäuer“ abreißen will, um dem ein „helles Gebäude“ entgegen zu setzen. Doch das Wollen und Wehen hat wenig Chancen, zu stark scheint die Vergangenheit präsent, die bösen Geister, die den jungen Murau zum Bettnässer werden ließen, noch präsent - die Matratze auf der Bühne ist nach wie vor durchtränkt mit Urin.

Bernhard schrieb Auslöschung. Ein Zerfall 1986. Karin Henkel und Rita Thiele reichern den Text mit Passagen aus anderen Bernhard-Texten an. Es war Bernhards letztes Prosawerk, in dem klar wird, dass eine Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich für Nachkommen essentiell ist, um die innere Freiheit zu entwickeln, ihren eigenen Weg zu gehen, eigene Werte zu schaffen.

Ein großer Text großartig inszeniert. Begeisterter Beifall vom Premierenpublikum.