Kontrollfreak treibt Tochter in den Tod
Das vom Haus empfohlene und mit dem Erwerb der Theaterkarte kostenlos zu benutzende Verkehrsmittel, um an den Veranstaltungsort zu gelangen, ist die Seilbahn. Von der Talstation nahe dem Deutschen Eck gleitet das Publikum hoch über dem Rhein zur Festung Ehrenbreitstein. Windgeschützt schlägt dort das Theater Koblenz zum Abschluss der Spielzeit in einem der enorm breiten Festungsgräben seit etlichen Jahren seine Bühne auf. In diesem Juli für Rigoletto.
Regisseurin Anja Nicklich stellt die Titelfigur unter permanente Beobachtung durch des Herzogs Höflinge. Wie aber die Kamarilla den Narren, so belauert Rigoletto das Umfeld des Herzogs. Gildas „schöne Leiche“ und Rigolettos Verzweiflung erweisen sich als Showdown, an dem sich der Voyeurismus der Schranzen weidet. Der von Aki Schmitt einstudierte Koblenzer Opernchor trumpft hierbei nicht allein mit vokaler Durchschlagskraft auf, sondern bringt sich - was ihn in so vielen Produktionen auszeichnet - höchst spielfreudig ins Geschehen ein. Nicklich schreibt dem Hofnarren ein äußerst bedenkliches Privatleben zu. Sie misstraut seinen ständigen Beteuerungen, die Tochter zum Schutz vor den Zudringlichkeiten der Welt, sonderlich der Männer, abzuschirmen. Bei Nicklich mutiert Rigoletto zum obsessiven Kontrollfreak. Überdies hegt er inzestuöse Gelüste. Immer wieder ist er versucht, Gilda an die Wäsche zu gehen. Diese sehnt sich denn auch danach, durch die Beziehung zum Herzog den väterlichen Zudringlichkeiten zu entrinnen. Wenn sich Gilda final für den treulosen Galan opfert, dann in Nicklichs Sicht weniger als Liebestat, vielmehr bezeichnet der Tod das allein übrigbleibende Fluchtziel vor den Nachstellungen des Vaters.
Antonia Mautner Markhof umgibt die Spielfläche mit einer Architektur irgendwo zwischen Renaissance und Frühbarock. In der Wandvertäfelung verborgene Türen verschaffen dem allgegenwärtigen Belauschen und Belauern reichlich Gelegenheit. Mautner Markhof verantwortet zudem die ins Barock weisenden Kostüme.
Was vom Chor gesagt wurde, setzt sich bei Orchester und Solistinnen und Solisten fort. Mino Marani lässt das Staatsorchester Rheinische Philharmonie mit viel Brio aufspielen und scheut, wenn es passt, auch nicht vor knalligen Effekten zurück. Souverän gebietet Hansung Yoo über die für die Titelpartie erforderlichen Mittel. Sein Rigoletto zeichnet sich gleichermaßen durch Differenzierung, Attacke und sichere Höhen aus. Ihrer Gilda verleiht Hana Lee empfindsame Koloraturen, innige Wärme und finale Entschlossenheit. Stefan Cifolelli gibt einen tenoral wendigen und flexiblen Herzog. Jongmin Lim ist ein stimmlich leicht unausgeglichener Sparafucile. Mit Monica Mascus bietet das Haus eine wahre Luxusbesetzung für Maddalena auf.