Schwarz auf weiß
Paradiesische Liebe und die Aussicht auf einen passabel vergüteten Posten sind für Tom Rakewell kein Nonplusultra. Zumal, wenn seinem anspruchsvollen Glücksverlangen ein vermeintlicher Agent Fortunas zu willfahren scheint. In Wahrheit paktiert Rakewell mit dem Teufel. Der aber braucht kaum Überredungskunst, vielmehr fungiert Beelzebub, hier in Gestalt Nick Shadows, als Katalysator für die sinistren Wünsche seines Klienten. Kein Wunder, dass es abwärts mit ihm geht: Bordell, bizarre Ehe, Betrug und Konkurs bezeichnen die Schwundstufen seiner persönlichen Integrität. Am Ende kann der Teufel sich zwar nicht Rakewells Seele unter den Nagel reißen. Die Hölle bleibt dem Wüstling erspart, nicht aber das Irrenhaus.
Geschichten wie diese tendieren zum Schwarzweiß. Und so trägt Rakewells Negativkarriere die Szenen jener Kupferstichserie William Hogarths in sich, die Strawinski zu seinem einzigen Werk mit explizitem Operncharakter inspirierten. Wie der Kupferstich aus dem Kontrast seiner mehr oder minder dichten Schraffuren mit den ausgesparten weißen Feldern lebt, so auch Immo Karamans Regie, dies in völligem Übereinkommen mit den kongenialen Kostümen Fabian Poscas. Vereint schildern Karaman und Posca, wie die Machinationen des in Schwarz getauchten Nick Shadow fortschreitend Antlitz und Anzug des Wüstlings verfinstern. Weil aber der Teufel allerhand optische Taschenspielertricks beherrscht, kann Rakewell mitunter noch die verruchteste Atmosphäre in gleichermaßen strahlendem wie kältestem Weiß blenden. So umgibt den Wüstling fallweise schwarze oder eben weiße Finsternis, in beiden Fällen als Vorklang der Hölle. Ganz anders Rakewells einstige Braut Anne Trulove, Liebe und menschliche Solidarität heißen sie, sich auf die Suche nach Rakewell zu begeben. Indem sie final erkennt, dass er sich im Irrenhaus nun selbst genügt und ihrer nicht bedarf, wird daraus eine weibliche Emanzipationsgeschichte. Als einzige gewinnt Anne daher Farbe. Zu Beginn weißhaarig, dann platinblond, am Ende mit kupfern getönter Frisur, wechselt sie vom weißen Kleid ins finale Rosa. Dass die Symbiose von Regie und Kostüm dem Bühnenbildner Zurückhaltung nahelegt, hat Rifail Ajdarpasic wohl rasch begriffen. Er bescheidet sich denn auch mit bloßen Haussilhouetten, die in den Bühnenhimmel hinauf- und hinabfahren.
Wie die szenische, gewinnt die musikalische Seite der Produktion. Das gilt auch für den Chor des Mainzer Staatstheaters unter Sebastian Hernandez-Laverny. Aus dem Graben lässt Daniel Montané mit dem Philharmonischen Staatsorchester Mainz durchhörbar, dabei mit beinahe beständig ironischer Färbung und des Komponisten Anleihen bei seinen Vorgängern des 18. Jahrhunderts akzentuierend, Strawinskis Neoklassizismus aus dem Graben steigen. Immerfort auf der Linie tenoraler Schönheit kostet Daniel Jenz seinen Rakewell bis in letzte Nuancen aus. Bei Peter Felix Bauer betreibt Nick Shadow sein teuflisches Geschäft auch vokal wie selbstverständlich, bisweilen gar mit virtuoser Beiläufigkeit. Alexandra Samouilidou verfügt für Anne Trulove über stimmlich zarte Regungen bei zugleich starkem Willen. Die erst in der Generalprobe eingesprungene Belinda Williams gibt eine Baba mit rollengerecht ebenso entnervendem wie faszinierendem Parlando-Geplapper.