Übrigens …

Die verlorene Ehre der Katharina Blum im Theater Heidelberg

Skrupellose Jagd

Die Mechanismen sind zeitlos und aktuell wie vor bald 50 Jahren, als Heinrich Böll seine Erzählung Die verlorene Ehre der Katharina Blum vorlegte, die jetzt in der Bühnenfassung John von Düffels am Theater Heidelberg Premiere hatte. Die Geschichte ist kurz und prägnant: Eine junge Frau kommt unverschuldet in den Verdacht, einem (angeblichen) Terroristen Beihilfe geleistet zu haben. Die Polizei drängt sie in die Enge, aus Nichtigkeiten werden Fakten konstruiert, und bald riecht „Die Zeitung“ Lunte. Unschuldsvermutung und Persönlichkeitsrechte werden ihr verwehrt. Eine gnadenlose Verleumdungskampagne beginnt, an deren Ende Katharina Blum sich ihrem Peiniger, den skrupellosen Boulevardjournalisten Tötges, ausgeliefert wähnt. Sie greift zur Pistole.

Schwere Kost am Stadttheater? Nicht ganz, denn Regisseurin Ruth Messing macht daraus ein turbulentes Schaustück, in dem Parodie, Satire und bitterböser Ernst sich die Waage halten. Dabei greift die Inszenierung auf derzeitige Mittel des Showbusiness zurück. Die Protagonisten dürfen auch mal zum Mikro greifen und Rockballaden von sich geben, viele Videomittel finden zur Illustration Verwendung und die Figuren werden zuweilen auch in Slapstick-Nummern gejagt. Theater soll halt unterhaltsam sein, kleine Irritationen eingeschlossen.

Gleichwohl glückt der Inszenierung im Verlauf der Szenen eine zunehmende Verdichtung, wenn Katharina Blum unabwendbar immer tiefer in die Verstrickungen der Verdächtigungen und Verdrehungen gerät. Die Presse rast, sie hat ihr Opfer; Journalismus wird zum Auslöser und Anwalt der Hysterie; wird jemand mir Dreck beworfen, bleibt immer etwas hängen, denn die „unsozialen“ Medien kennen nur ihre eigene Sichtweise.

Außerordentlich berührend spielt Esra Schreier die Katharina Blum, deren Psyche Stück um Stück lädiert wird, weil sie keine Hilfe erwarten kann. Sehr differenziert blättert sie die Gefühlszustände auf, die immer mehr in die Ausweglosigkeit führen. Den Gegenpart kostet Martin Wißner aus, einen Rambo-Journalisten, der nur am eigenen Ego und am Erfolg des Blattes interessiert ist. Amichael Schrodt, Katharina Quast und Hendrik Richter sind gestalterisch sehr variabel in ihren Mehrfachrollen zwischen Kommissar und Staatsanwalt, Rechtsanwalt und Wirtschaftsführer.