Der Besuch der alten Dame im Theater Heidelberg

Totentanz um goldene Dollars

Diesen Bühnenklassiker des 20. Jahrhunderts kann man immer bringen, denn Friedrich Dürrenmatt hat mit seinem 1955 geschriebenen Stück Der Besuch der alten Dame einer Gesellschaft den Spiegel vorgehalten, die sich den Zwängen und Verführungskünsten des Faschismus entronnen glaubte und gleichwohl in atavistische Muster verfällt: Wenn ein Retter in der Not, die Milliardärin Claire Zachanassian einer verlotterten Kleinstadt eine Milliarde verspricht. Unter einer Bedingung, ihr damaliger Liebhaber, der sie ins Unglück stüzte, soll getötet werden. Um einer Gerechtigkeit willen, die sie allein definiert.

Dürrenmatt kleidet seine „tragische Komödie“, die menschliche Verhaltensweisen entlarvt , in einen geschliffen scharfen Text, den Regisseur Alexander Charim in seiner Bühnenfassung mit Texteinschüben der Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux anreichert. Keine Sünde wider die reine Lehre, denn auch Ernaux sucht das eigene Ich aus den Verletzungen der Kindheit/Jugend zu ergründen, wie Claire Zachanassian in ihren eiskalten Rachegelüsten die Verletzungen ihres Ausgestoßenseins durch die kleinbürgerliche Gesellschaft zu heilen versucht. Konsequent spaltet die Inszenierung diese Figur: Christina Rubruck gibt der „alten Dame“ Kälte und Zynismus, während Sheila Eckhardt die junge Kläri Wäscher mit jener Sehnsucht und Ungeduld ausstattet, die exemplarisch sein können für die Sinnsuche Heranwachsender.

Die Inszenierung nimmt den Untertitel „tragische Komödie“ ernst und siedelt sie in einer aufgelassenen Western- Filmkulisse an. Dort schmückt der Bürgermeister (Hendrik Richter) sein Haupt mit einem Stetson und zieht daraus Bedeutung, die er doch längst verloren hat. Denn sein Ort Güllen ist zu einem Kaff verkommen, ohne Wirtschaftskraft und Perspektive, abgehängt vom Rest der Welt, Wo einst Expresszüge Station machten, kommt allenfalls ein rumpeliger Nahverkehrszug an. Hier fristet auch Alfred Ill sein verpfuschtes Dasein als Krämer im Dorfladen. Vom Leben enttäuscht, hatte er doch seine Liebe zu Kläri verraten und sie ins Verderben gestoßen. Jetzt hat er, den Marco Albrecht mit vielen Facetten nachzeichnet, zwei Kinder, deren Wünsche an ihm vorbei gehen, und eine frustrierte Frau. Er selbst flüchtet im Anzug in die Fassade des ehrbaren Kaufmanns, allein der Umsatz sinkt, denn Güllens Einwohner sind verarmt, und er selbst kann seine Verzweiflung kaum kaschieren.

Beste Aussichten als für durch Sexdienste zu märchenhaftem Reichtum gekommene Claire Zachanassian, mit ihrem verführerischen Angebot durchzukommen. Der Verfall einer sittlichen Ordnung und moralischer Werte bis hin zum Pseudo-Tribunal und Mord am Unglücksraben Ill wird am Heidelberger Theater sehr präzise nachgezeichnet. Aus der anfangs noch entspannten Groteske entwickelt sich ein subtiler, packender Thriller, in dem auch Nebenfiguren wie der Lehrer (Leon Maria Spiegelberg) und die Pfarrerin (Nicole Averkamp) die Handlung vorantreiben: Sie sorgen für den moralischen Überbau der enthemmten Unmoral, wenn die Mörder sich der Macht des Geldes unterwerfen, als sei sie die Macht des Schicksals.

In Heidelberg gab es bei der Premiere sehr viel und intensiven Beifall für wirklich gut gemachtes Bühnen-Handwerk.