Bühnenbeschimpfung im Maxim Gorki Theater

Eigener Anspruch scheint zu hoch gesteckt

Laut und grell kommt die Bühnenbeschimpfung (Liebe ich es nicht mehr, oder liebe ich es zu sehr?, so der Untertitel) am Gorki Theater daher. Was am Anfang des Abends noch unter dem Sound von Queen und Co. Lust auf mehr voluminösen Popanz macht, entpuppt sich im Laufe des Abends dann zunehmend als leicht nerviges Durcheinander aus Zitaten, Theater-Insidern und – klar doch, wir sind ja am Gorki-Theater – hineingeflickter „gesellschaftlicher Relevanz“. Jaja, liebes Gorki Theater, irgendwie wiederholen sich Machart und ostentativer Gutmensch-Zeigefinger dann doch irgendwann.

Aber worum geht es eigentlich? Nun sind es bereits 56 Jahre her, als Peter Handkes Publikumsbeschimpfung unter der Regie von Claus Peymann uraufgeführt wurde. Eine originelle Idee des Österreichers war es, das Publikum als natürlichen Feind des Theatermachers in seinen Text zu involvieren. Sivan Ben Yishai und Sebastian Nübling (Regie) drehen den Spieß um und thematisieren Machtstrukturen an Bühnenhäusern sowie die Arbeitsbedingungen an Theatern. Das Gorki Theater schafft die Relevanz also, indem es sich selbst thematisiert. In der Soziologie nennt man diesen Mechanismus „Selbstreferenz“, wenn sich ein gesellschaftliches System dadurch stabilisiert, indem es immer wieder auf sich selbst rekurriert.

Der tieferliegende Sinn der Bühnenbeschimpfung wäre nach soziologischer Systemtheorie, nicht nur „Selbstreferenz“, sondern auch „Fremdreferenz“ herzustellen. Hieße konkret? Schön wäre es, wenn das Theater sich nicht nur selbst thematisiert, sondern lieber die Probleme einfach beseitigt, beispielsweise indem es sich bei anderen gesellschaftlichen Systemen inspirieren lässt, wo es besser läuft.

Dass es da nicht immer rosig zugeht, ist kein Geheimnis: Selbst an staatlichen Bühnen wird viel mit Zeitverträgen gearbeitet, Intendant*innen haben sich den Ruf autokratischer Herrscher hart erarbeitet und ob die „Besetzungscouch“ auch heute noch hier und da Verwendung findet (?) - man weiß es nicht!

Aber irgendwie, Hand aufs Herz, kommt es auch an diesem Abend so rüber, als würden sich Theatermacher*innen, Schauspieler*innen, Bühnentechniker*innen und wer auch immer da sonst noch für die „Selbstreferenz“ am Gorki Theater zuständig ist, sich in ihrem Refugium, mag es auch seine Mängel aufweisen, mehr als wohl fühlen.

Es wird getanzt, geschrien, gestritten; Schauspieler*innen, die im Publikum platziert sind, dürfen „Publikum“ spielen und das Publikum darf aufstehen, wenn etwa gefragt wird, wer über 3000 Euro netto verdient oder glaube, dass der Klimawandel positiv überwunden werden könne.

Ein wirklich lauter und greller Abend, der dem eigenen Anspruch aber irgendwie nicht gerecht wird.