Übrigens …

Gräfin Mariza im Theater Osnabrück

Amüsement und Überlebenskampf

Was vorgibt, in der vermeintlich heilen Welt vor dem ersten Weltkrieg zu spielen, stellt sich bei näherem Betracht als Zeitstück aus dem Uraufführungsjahr 1924 dar. In Osnabrück riskiert Regisseur Matthias Oldag eben diesen exakten Blick. Der Weltkrieg ist vorüber. Die Gesellschaft laboriert an dessen Folgen. Die Hyperinflation hat viele um ihr Vermögen gebracht. Wer noch Geld hat, feiert Dauerparty. Vor allem jener oft halbseidene Teil des Adels, dem gelungen ist, sich an die gewandelten Verhältnisse anzupassen. So floriert denn das Budapester „Tabarin“ unter neuer Leitung. Denn Gräfin Mariza hat vom Großgrundbesitz zur Nachtclubchefin umgeschult. Entsprechend fungiert Tassilo nicht als ihr Gutsverwalter, sondern des Etablissements Portier. Das glamouröse Nachtleben der ungarischen Kapitale kontrastiert nicht länger mit dem heiteren Dasein auf dem Lande, sondern mit der sozialen Eiseskälte der Großstadt draußen vor der Tür des Amüsiertempels. Mariza regiert ihr neues Reich, indem sich zu ihrem Grafentitel die Mata-Hari-Attitüde gesellt. Immer wieder schlängelt sich die Nachtclubchefin gleich einer pseudoindischen Tempeltänzerin durch ihr Etablissement. Freilich ist sie unter allem Gehabe und Paillettenprotz noch immer die ebenso grundehrliche Haut geblieben wie Tassilo. Beruhigend auch, dass in Gestalt Koloman Zsupáns mindestens ein Exemplar des feurigen ungarischen Landedelmanns überlebt hat. Regisseur Oldag hat also in diesem einen Fall den viele Mariza-Produktionen völlig beherrschenden Geist rückwärtsgewandter Utopie nicht austreiben mögen.

Darko Petrovic siedelt die Budapester Lebe- und Halbwelt in einem Art-déco-Etablissement an. Auch die Kostüme hat Petrovic entworfen. Mariza steckt in der ausladenden Glitzerrobe einer wahren Tingeltangelkönigin. Lisa im pfiffig geschnittenen Hosenanzug. Ansonsten trägt die Damenwelt Charlestonkleider. Mit ihrer rasanten Choreografie für die Dance Company des Theater Osnabrück und die Studierenden des Instituts für Musik der Hochschule Osnabrück setzt Kati Farkas der Nachtclubatmosphäre die Spitze auf.

Ebenso wie die szenische gewinnt die musikalische Seite der Produktion. Sierd Quarré inspiriert den Chor des Hauses, sich sanglich voller Verve und spielfreudig ins Geschehen einzubringen. An-Hoon Song trifft mit dem Osnabrücker Symphonieorchester exakt jene Mixtur aus Operettenungarn, Wiener Schmelz und Weltläufigkeit, die es für die Mariza braucht. Susann Vent-Wunderlich verkörpert die Titelfigur mit jugendlich-dramatischem Impetus, viel vokalem Feuer und einnehmenden Piani. Julie Sekinger ist eine quecksilbrige Lisa. Die jahreszeitlich umschwirrenden Viren scheinen wie immer bevorzugt Bühnenkünstler heimzusuchen. In der besuchten Vorstellung sind drei Partien Einspringenden anvertraut, darunter beide männlichen Hauptrollen. Michael Heim ist ein Operettentenor mit prestigeträchtigen Engagements. Mag sein, seine Hinwendung zum Heldenfach bewirkt, dass er seinen Tassilo nicht gänzlich auf der die Partie adelnden Linie sanglicher Eleganz führt. Fritz Steinbacher gibt einen in jeder Hinsicht gewinnenden Koloman Zsupán, der seine Pointen zielsicher serviert. Einspringerin Anika Paulick ist eine berührende Manja. Auch alle weiteren Rollen sind ansprechend besetzt.