La Traviata im Theater Koblenz

Das Elend der Kurtisane

Von Glanz kaum die Spur, es dominiert Morbidezza. Bühnenbildnerin Antonia Mautner Markhof ersinnt einen Marmorsaal, der schon deutlich bessere Tage gesehen hat. Der rückwärtige Monumentalspiegel ist gar zerbrochen. Dahinter zeigt sich der Tod, irgendwann hält er eine Kamelie in Händen. Im verfallenen Palais tummeln sich große Welt und Halbwelt samt abgerissenen Gestalten, die Karl Marx zum Lumpenproletariat gezählt hätte. Einzig für Violetta erübrigt Kostümbildner Bernd Hülfenhaus eine tatsächliche Robe. Die Valéry als Zentrum einer zwar pittoresken, aber bei Licht betrachtet eher schäbigen Libertinage. So duldet denn Regisseurin Anja Nicklich von Anbeginn keinen Zweifel am „Elend der Kurtisanen“. Wenn die Kameliendame materiell von ihren Galanen profitiert, dann allein, um solche Einkünfte in einen Liebhaber vom Schlag des jungen Germont zu investieren. Violetta glaubt an dessen Liebe. Und nicht ausgeschlossen, dass auch er selbst davon überzeugt ist. Dennoch entdeckt Nicklich an Alfredo kaum Anzeichen von Bereitschaft zur Überwindung seines Machismo. Wenn er sich in ländlicher Idylle seiner Jagdleidenschaft hingibt, hält er beim Ausweiden einer Hirschkuh deren Herz in die Höhe, um es emphatisch mit dem der Geliebten zu assoziieren. Zwar ist die Brutalität des jungen Germont anders beschaffen als die seines Vaters, des Steuerpächters. Eines Profitmenschen mit lediglich geborgter Noblesse. Regisseurin Nicklich misstraut Sohn und Vater und mit einigem Grund daher auch dem versöhnlichen Schluss, zu dem die beiden Männer an das Sterbebett Violettas eilen. Sie halten sich - wie anfangs der Tod - hinter dem zerbrochenen Spiegel auf. Gut möglich, als bloße das Hinscheiden erleichternde Einbildung der Moribunden.

Musikalisch erfüllt die Produktion zahlreiche Wünsche. Karsten Huschke hat den Chor des Hauses darauf vorbereitet, sich ebenso durchschlagskräftig wie dynamisch differenziert ins Spiel zu bringen. Marcus Merkel setzt das Staatsorchester Rheinische Philharmonie unter beständigen Hochdruck. Das orchestrale Donnerwetter bedroht die Balance zwischen Graben und Bühne. Adriana Ferfecka in der Titelpartie findet im Lauf des Abends zunehmend auf eine sangliche Linie, die ihr gestattet, das Leben Violettas ergreifend aushauchen zu lassen. Bemerkenswert zudem Ferfeckas Koloraturgeläufigkeit und einnehmende Piani. Für Alfredo gebietet Matteo Desole über Höhensicherheit und viel Attacke. Einspringer Aris Argiris verleiht Vater Germont auch vokal die Rohheit des reichen Steuereintreibers. Die kleinen Partien sind hervorragend teils mit jenen Solistinnen und Solisten des Koblenzer Theaters besetzt, die sonst in Hauptrollen agieren.