Hamlet im Opéra Royal de Wallonie, Liège

Hamlet verträgt Übertragung ins gänzlich andere Format

Mit der Reduktion der Komplexität von Shakespeares-Tragödie auf das Opernformat verbinden sich durchaus Chancen. Zwar lässt sich keine Literaturoper erwarten, doch was Ambroise Thomas und seine Librettisten Barbier und Carré dem Stoff abgewinnen, entschädigt reichlich. Gemeint ist nicht allein die hoch inspirierte Melodik in Arien und Ensembles, vielmehr verfolgt Thomas die Bedeutung manchen Worts mit ausgeprägtem Sinn für die französische Idiomatik bis in feinste Verästelungen. Ins Französische übertragen, findet Hamlets berühmter Monolog seine Ausdeutung in nobel zurückhaltenden musikalischen Valeurs. Doch scheut die Partitur keineswegs vor kühnen Harmonien. Schon im Vorspiel sind sie präsent. Regisseur Cyril Teste bedient sich Hamlets Einfall, Claudius durch Theater auf dem Theater zu entlarven, um ihn auf die gesamte Tragödie auszuweiten. Hamlets Zwiegespräch mit dem im Publikum platzierten Geist des Vaters gerät zur gleichermaßen dramatisch fesselnden und mystischen Erfahrung. Immer wieder tritt die Personage durch den Zuschauersaal auf und ab. Die omnipräsente Kamera fängt sie auch jenseits von Bühne und Parkett ab und ein, Claudius im Intendantenbüro, Ophelia vergießt Tränen im Foyer. Szenen wie diese und das Bühnengeschehen fließen nahtlos und wie selbstverständlich ineinander über. Mehdi Toutain-Lopez und Nicolas Dorémus leisten da mit ihrer Videokonzeption ganze Arbeit. Freilich finden sich im Ensemble durchweg Sängerdarstellerinnen und Sängerdarsteller, die den zahlreichen Nahaufnahmen mimisch standhalten. Ophelie stirbt ergreifend und - wie bei Ertrinkenden der Fall - in Zeitlupe und in aller Stille. Ramy Fischlers Bühne setzt vorderhand auf Minimalismus. Drei Durchgänge, in die sich immer wieder Versatzstücke schieben. Bisweilen schließt sich um sie partiell oder vollständig ein Vorhang. Die ganze Welt ist eben eine Bühne. Isabelle Deffins Kostüme verlassen sich auf den Effekt von Spielleitung und Video selbst, wenn die Personage sich nahezu alltäglich gewandet.

Musikalisch grenzt die Produktion an eine Offenbarung. Denis Segond motiviert den Chor des Hauses, sich mit vokaler Verve ins Zeug zu legen. Guillaume Tourniaire lässt das Orchester der Königlich Wallonischen Oper zugleich mit Sinn für das Sentiment und die Eleganz der Partitur und Thomas’ orchestrale Wagnisse aufspielen. Lionel Lhote beglaubigt die sich emotional und intellektuell völlig verausgabende Titelfigur. Stupende sangliche Intelligenz und Noblesse unterstreichen das packende Rollenporträt. Jodie Devos haucht Ophelies Pianissimi bis in den letzten Winkel des Hauses. Reichere sangliche Differenzierung lässt sich schwerlich denken. Bei NicolasTesté trumpft Claudius bassgewaltig auf. Béatrice Uria-Monzons Gertrude ist die ihm ebenbürtige Partnerin. Vokal autoritativ gibt Shadi Torbey das Gespenst.