Übrigens …

Titanic im Theater Osnabrück

Menschliche Hybris versus Naturgewalt

„Nachtigall, ick hör dir trapsen!“ - schon vor dem Eingang des Theaters Osnabrück stapeln sich Eisblöcke. Und wenn wir dann am Eingang noch von Matrosen Boarding-Karten erhalten mit den Lebensläufen echter Passagiere, begeben wir uns auf die, wie wir dank der Gnade der späten Geburt wissen, recht schwankenden Planken der Titanic.

Das ganze Haus scheint sich in ein Schiff zu verwandeln. Hinter den Theken der Casinos bedienen gut gelaunte Matrosen und (kann man das so sagen?) Matrosinnen. Im oberen Foyer ertönt Barpiano-Musik und es ist ein Kate Winslet/Leonardo di Caprio-Bug eingerichtet, der eifrig für Fotos und Selfies genutzt wird.

Die Laune ist gut, als wir den Theatersaal betreten. Dafür hat die Stimmung gesorgt. Und so dürften es wahrscheinlich auch die echten Passagiere empfunden haben, als sie 1912 die Titanic betraten zur Jungfernfahrt eines wahren Technik-Wunders. Das ist ein kluger Schachzug von Regisseur Ansgar Weigner, von denen er und sein Team im Verlauf des Abends noch eine ganze Menge mehr auspacken sollten.

Passagiere aus drei Klassen und eine Mannschaft dazu - die Bühne des Osnabrücker Theaters ist wahrhaftig von der Fläche her nicht besonders riesig. Wie also die Menschenmengen über die Bühne bewegen? Dazu fällt Darco Petrovic eine ganze Menge ein. Denn das Osnabrücker Haus ist hoch. Und so kann er diese „Meter nach oben“ für eine Bühnengestaltung über zwei Ebenen nutzen und beugt so Gedränge vor, insinuiert sogar eine gewisse Freiheit auf dem Meer unter blauem Himmel.

Ansgar Weigner nimmt das Anliegen der Musical-Macher Peter Stone (Buch) und Maury Yeston (Komposition) sehr ernst, nicht nur von der High Society an Bord zu erzählen, sondern auch die Passagiere in der zweiten Klasse und die Armen im Zwischendeck in den Fokus zu nehmen. Dafür nimmt er sich viel Raum und Muße in einem sehr personenintensiven Stück, schafft immer wieder Momente des Innehaltens, lässt Hoffnungen erblühen, kreiert Momente des Grauens und der Todesangst. Das alles verbindet er zu einem großen Musical-Abend, der gekrönt wird von Weigners Fähigkeit, Massen sinnfällig auf der Bühne zu bewegen ohne die Zeichnung von Individuen in den Hintergrund zu stellen.

Yestons Musik zeichnet sich nicht durch eine subjektive Tonsprache aus. Er arbeitet viel mit Zitaten und Anklängen und es fehlen die großen „Kracher“, die umhauen und mitnehmen. Aber er erschafft in seinen Ensembles einfach berührend-einnehmende Stimmungsbilder: Trauer, Freude, Angst aus vielen Kehlen. Und die verdeutlicht Weigner ganz exquisit durch seine Personenführung und formt einen in sich geschlossenen Kosmos. Großartig!

Alle Akteur*innen auf der Bühne sind mit großer Spielfreude bei der Sache, tragen offensichtlich Ansgar Weigners Konzept voll mit, werfen sich darstellerisch und gesanglich mit breiter Brust ins Geschehen. Alle haben großen Anteil an Glanz und Gloria dieses umwerfenden Abends. Möchte man überhaupt Hervorhebungen vornehmen, so ist es möglich, Sierd Quarrés Opernchor zu nennen. Diesen hat man selten, ob als Gemeinschaft oder in Solo-Rollen, so gelöst und entspannt agieren sehen. Da ist nur die pure Freude und der reine Spaß spürbar. An-Hoon Song und das Osnabrücker Symphonieorchester fügen sich nahtlos ein in das Projekt Titanic, dem sich alle Mitwirkenden mit Herzblut in den Dienst stellen.

Vielleicht ist es angebracht, an dieser Stelle auch einmal denjenigen zu danken, die bei einer solchen Mammut-Produktion sicher Blut und Wasser geschwitzt haben dürften, aber eben auch dafür verantwortlich sind, dass ein hervorragendes Ergebnis entsteht. Ich meine den Studienleiter Markus Lafleur, die musikalische Einstudierung von Cecile Agnier und Wladimir Krasmann. Und wer möchte schon in der Haut von Abendspielleiterin Barbara Hamlová stecken oder in der von Inspizientin Anja Flemming. Alle dürften sich wahrscheinlich nach dem redensartlichen „Sack Flöhe“ sehnen und ohne sie gäbe es diese fantastische Titanic sicher nicht.

Viel Applaus vom Premierenpublikum, der ins Osnabrücker Land schallen dürfte und hoffentlich Heerscharen von Besucherinnen und Besuchern ins Theater Osnabrück locken wird