Übrigens …

Antigone im Maxim Gorki Theater

Dekonstruktion ist nicht alles

Feminismus, strukturelle Macht, Zerstörung und Neuinterpretation eines archaischen Textes– was hätten wir da noch? Ein dilettantisches Bühnenbild, weitestgehend wirre schauspielerische Performance, die Kulmination in Nacktheit und körperlicher Beschmierung mit Lehm-Schlamm.

Leonies Böhms Zugriff auf Antigone am Gorki Theater scheint zwiegespalten vom eigenen Anspruch, sich an einem Text einerseits abarbeiten zu wollen, anderseits keine wirkliche Distanzierung erreichen zu können – am Ende bleibt ein in sich unstimmiges, in Teilen läppisches Schauspiel, das auf der Premierenfeier mitunter als „Schülertheater“ klassifiziert wird, wobei hier nicht das Schülertheater an sich diskriminiert werden soll. Und der eine oder andere ist sich unsicher: „Vielleicht soll es ein Stilmittel gewesen sein, dass der Anfang so lieblos daher kommt, damit sich das Stück zum Ende hin steigern kann!“

Ich schließe mich dieser Interpretation nicht an und glaube eher, dass die qualitativ einfach wenig überzeugende Antigone-Bearbeitung indirekt der künstlerischen, oder: ideologischen Linie des Gorki-Theaters geschuldet sein könnte, auf fast schon penetrante Art und Weise in egal welches Thema auch immer einen feministischen Aspekt oder irgendwas Ostentatives zum Thema „Flüchtlingskrise“ einarbeiten zu müssen.

Leonie Böhm streicht im Sophokles Klassiker einfach alle Männerrollen , sind die ja eh toxisch. Schon bei Sophokles will der Herrscher Kreon die arme Antigone schließlich lebendig in eine Grabkammer sperren. Eva Löbau, Julia Rieder, Cigdem Teke und Lea Draeger singen Sophokles-Zeilen und provokante Wortfetzen mit Livemusikerin Fritzi Ernst am Keyboard und bewegend sich weitestgehend wirr auf der komplett schwarz ausgekleideten, gruft-höhlenartigen Bühne. Es wird schon mal gespuckt und herumgeirrt.

Christine Wahl pointiert treffsicher auf „Nachtkritik“:Regisseurin Leonie Böhm setzt ihre Austreibung der bösen Klassiker-Geister fort. Diesmal geht es Antigone ans staubige Gewand. Folgerichtig lautet die Devise: Ausziehen, Schamgrenzen abbauen und beherzt in die 'Scheiße' hüpfen. Für eine bessere Welt. Für uns alle?“

Antigone, die sich in der von Mythen geprägten antiken Männerwelt versucht mit moralischem Denken durchzusetzen, scheitert aus Sicht von Regisseurin Böhm an Schamgrenzen. „Schamgrenzen reproduzieren in meinen Augen Systeme, die eigentlich hochproblematisch sind. Sie produzieren Gewalt", sagt Dramaturg Tarun Kade.

Ohne Schamgrenzen dürfen auch machthungrigen Herrscher infrage gestellt werden, sie dürfen als „Arschloch“ bezeichnet werden ohne, dass die Grabkammer droht.

Eine schöne Vorstellung, die Böhm da entwirft. Aber bis die schöne, neue Welt Einzug hält, müssen die Zuschauer*innen erstmal Antigone am Gorki Theater über sich ergehen lassen.