Vom Fischer, dem auf Erden nicht zu helfen ist
Unwirtlich ist das Dasein der Fischer an Englands Ostküste. Mit der Natur zu leben bedeutet hier meist mit ihr zu ringen. Sturm und Meer setzen den Bewohnern nicht allein auf ihren Kuttern zu, sie reißen mitunter ganze Stücke aus der Küstenlinie. Wer sich wie Peter Grimes unter solchen Vorzeichen von der Gemeinschaft fernhält, erfährt binnen kurzem Hass und Verdächtigungen. Kaum will daher den Autoritäten des Fischerortes gelingen, die bei den Leuten grassierende Bereitschaft zu Verdächtigung und Verfolgung des Außenseiters unter die Decke zu kehren. Zumal es selbst den immer und überall ihre Rivalität ausfechtenden Geistlichen an Menschenfreundlichkeit gebricht. Regisseur Frédéric Roels schildert alles dies ebenso präzise wie einprägsam, ohne zu entlarven, geschweige anzuklagen. Die Situationen sprechen für sich. Auch in Grimes begegnet beileibe kein Unschuldiger. Abgefeimt holt er seine Gehilfen aus dem Waisenhaus. Die sozial entwurzelten halben Kinder sind seiner Gewalttätigkeit ausgeliefert. Dennoch eignet dem Fischer etwas von einem Schmerzensmann. Das aber bezeichnet eine völlig andere Seite seines Wesens. Roels verzichtet darauf, zwischen den Widersprüchen zu vermitteln. Indem er sie klar profiliert nebeneinander stehen lässt, meidet er jeden Anflug von Sentimentalität und Sozialromantik.
Grimes ist die Titelfigur des Werks, wahre Heldin der Oper aber die verwitwete Lehrerin Ellen Orford. Kraft ihrer Autorität hält sie den Mob des Fischerkaffs von Grimes fern. Wenn aber der Ungeschlachte seine Hand auch gegen sie erhebt, zeigen sich ihre Kräfte verbraucht. Wie Ellen Orford schlicht und unaufgeregt ihre Überforderung bekundet, artikuliert einen der ergreifendsten Augenblicke dieser atmosphärisch dichten Produktion. Bühnenbildner Bruno de Lavenére sorgt mit verschiebbaren Bootsstegen und dramatischen Wolkenhorizonten für jene Schauplätze harter Arbeit und dräuender Naturgewalten, ohne die Brittens Oper nicht auskommt. Lionel Lesire bildet kostümlich die Hierarchie des Kaffs vom Ortsvorsteher über das die Konflikte aus Geltungssucht und Langeweile noch befeuernde Bürgertum bis hin zu den rauen Fischersleuten ab.
Auch musikalisch geschieht immer wieder Packendes. Chor und Extrachor lassen sich unter Martin Folz mit ausgesprochenem Sinn für Brittens Melos vernehmen. Jochem Hochstenbach nähert sich mit dem Philharmonischen Orchester der Stadt Trier vor allem in den Vor- und Zwischenspielen den musikalischen Gemälden der sich auf dem Meer und an der Küste austobenden Naturgewalten bedeutend an. Die Expressivität darf indessen noch an Differenzierung gewinnen. Thorsten Büttner ist Peter Grimes. Rohheit, Lyrik und Emphase, Büttner beglaubigt sämtliche Facetten seiner Partie. Erfreulich, wie er in einer Rolle, die Gefahr läuft, sich in der Spur ihrer bedeutenden Vertreter – allen voran Peter Pears - zu halten, gänzlich eigene Wege beschreitet. Arminia Friebe verleiht ihrer Ellen Orford aus dem Inneren hervorstrahlende Courage und menschliche Zugewandtheit. Dass Grimes diese Witwe vom Fleck weg heiraten möchte, ist bei Friebe am Tag. Kantig und dem Außenseiter wohlgesonnen, gibt Roman Ialcic den Balstrode. Auch alle weiteren Ensemblemitglieder überzeugen.