Übrigens …

Anouk und Adofa im Berlin, Deutsches Theater

Grenzen des Psychologischen

Eigentlich sind Anouk und Adofa ein super Paar. Sie ist Architektin, er Schauspieler. Beide setzen sich kritisch mit ihren Jobs auseinander - sie ist angenervt von inkompetenten Architekten, denen sie als Frau die Baupläne überarbeiten darf, er will als Schauspieler mit Migrationshintergrund sich keinen Turban aufsetzen, um die Filmrolle zu kriegen.

Doch wäre  da nicht das Thema „Depression" das Autor und Regisseur Marco Damghani in seinen Text Anouk und Adofa in die Paarbeziehung integriert hätte. Anouk ist dann und wann deprimiert, legt sich ins Bett und Adofa bringt ihr Architekturzeitschriften und Sitcoms ans Bett. Die Depression scheint das Positive, die Liebe zwischen den beiden Menschen, immer wieder zu überdecken, doch die Depression spielt bis in eine Schwangerschaft hinein: Adofa freut sich und will den Buggy schieben, Anouk setzt sich mit ihren Zweifeln auseinander, möchte nicht in eine Form gepresst werden.

Damghani will mit seinem Text auch auf Defizite in unserer Gesellschaft aufmerksam machen: Zu wenig Therapieplätze, eine angeblich überfinanzierte Gesetzliche Krankenkasse (GKV), die die Gelder nicht passgenau ins System zurückgibt. Das macht Damghani über die Dialoge zwischen dem Paar sehr intelligent. Dabei überzeugen Paulina Bittner und Patrick Isermeyer mit absolut feinem und intensiven Spiel, das bei dem Publikum am Deutschen Theater für Begeisterung sorgte. Witzig und treffsicher sind dabei Stand-Up-Comedy-Elemente, in denen Bittner ihre Gedanken zum Leben und Gesellschaft in ironischen Schlaufen präsentiert.

Doch ist das System wirklich verantwortlich für individuelle Krisen? Der Vater von Anouk habe ihr nicht genug Liebe geschenkt, Dreh- und Angelpunkt ihrer Krisen. Da kann Damghani natürlich mit dem schreiberischen Finger auf zu wenig Therapieplätze zeigen, doch wo bleibt der Glaube an individuelle Stärken, dem Leben selbst mit seinen Herausforderungen zu begegnen und diese zu meistern? Denn es gibt auch schlechte Therapie, es gibt auch inkompetente Therapeut*innen und es gibt auch eine Haltung mancher Menschen, die Verantwortung fürs eigene Leben in die Therapiesitzung zu verschieben.Und zurück zur GKV: Müssten die Rücklagen nicht eigentlich vor dem Hintergrund des demografischen Wandels in die Pflege und eine gute Bezahlung der Mitarbeiter*innen investiert werden, anstatt immer neue Therapieplätze zu schaffen, unter anderem auch für Menschen, die unter der Arbeitswelt und mit unter schlechten Rahmenbedingungen leiden? Das Thema „Psychotherapie" kommt in dem Spiel dann und wann etwas unhinterfragt daher. Große Begeisterung aberfür einen interessanten Text und eine absolut überzeugende schauspielerische Leistung.