Übrigens …

Zinnwald im Gewandhaus Zwickau

Kein Walpurgisnachttraum

Mit der Uraufführung von Zinnwald setzt das Theater Plauen-Zwickau seine bis in die neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts reichende Zusammenarbeit mit dem vogtländischen Dramatiker Christian Martin fort. In der DDR war Martins Schaffen unerwünscht. Der titelgebende Ort des Auftragswerks findet sich auf den Landkarten des Osterzgebirges. Hart an der Grenze zur Tschechischen Republik gelegen, verfügte er über hochergiebige Gruben für das Metall, das er im Namen trägt. Schon eine andere Sache ist es mit dem sich im Stück über Zinnwald erhebenden Gottesberg. Zwar existiert ein Dorf dieses Namens, auch dieses vom Zinnabbau geprägte Örtchen liegt nahe Tschechien, doch eine ganze Strecke von Zinnwald entfernt, schon im Vogtland. Erst die Imagination Christian Martins rückt Zinnwald und Gottesberg in unmittelbare Nachbarschaft. Im schwülen Forst brüten Leidenschaften wie weiland in Shakespeares Ardennerwald, auf dem Gottesberg toben sie sich aus wie zur Satanshochzeit auf dem Brocken. Jedenfalls will das Gastronomin Rosa die männlichen Lokalgrößen Glauben machen. Ihr Hotel auf dem Gottesberg steht vor dem Aus, nachdem der Bundesgrenzschutz infolge des Beitritts Tschechiens zur EU und zum Schengenraum im Jahr 2004 dort abgezogen ist. Die Grenzschützer hatten den Übernachtungsbetrieb einträglich frequentiert, zumal das Portfolio der osteuropäischen Servicekräfte neben gastronomischen auch sexuelle Dienstleistungen aufweist. Ein letzter Rettungsversuch soll nun auf die Akquise der örtlichen Prominenz abgezielt das Berghotel in einen erotischen Walpurgisnachtstraum umfunktionieren. Wirklich finden sich Polizeipräsident, Bürgermeister, Pfarrer, Bankdirektor und Lokalredakteur zum Event ein. Dem liturgischen Höhepunkt der Verehrung der klaffenden Vagina einer Oberhexe oder - mag sein - Sexgöttin durch die lüsterne Männerriege folgt allerhand Bordellübliches. Für Bürgermeister und Bankdirektor freilich stellt sich Ernüchterung ein. Denn die vermeintliche Oberhexe respektive Sexgöttin ist die - zunächst maskierte - Ehefrau des Stadtoberhaupts und zugleich Geliebte des Herrn über die Kredite in der Region. Beiden Männern gibt sie den Laufpass. Sich von ihnen aushalten zu lassen, widert sie an, künftig baut sie auf ihre unternehmerischen Fähigkeiten im Escortmetier. Die erotische Libertinage der Walpurgisnacht spült allerhand Dreck zutage. So erweist sich der Bankdirektor als in Insidergeschäfte verwickelt, der Lokalredakteur handelt mit gefälschten Papieren für die osteuropäischen Servicekräfte, der Polizeipräsident ist ein roher Gewaltmensch. Außer den geschäftlichen Sorgen plagt Hotelbesitzerin Rosa das mangelnde Interesse des Gatten an ihr. Daher soll Rosas zur prominenten Schauspielerin avancierte Schwester Milli ihn in der Walpurgisnacht unter der Larve der vernachlässigten Gemahlin heimsuchen, um mit dem erfolglosen Schriftsteller ein Kind zu zeugen. Schwangerschaft und Nachwuchs sollen die Ehe kitten. Dies alles ereignet sich vor einem von Christian Martin ersonnenen Hungerstreik der Zinnwalder Bergarbeiter. Indessen kommen die Werktätigen nicht zu Wort, im Berghotel wird lediglich en passant über sie geredet. Ohne ein Dialektstück zu sein, bezieht Zinnwald poetische Kraft aus Färbung und Rhythmus des vogtländischen Idioms. Die Sprache ist lapidar. Eben deshalb kann sie einerseits brutal zuschlagen, andererseits lyrische Freiräume eröffnen.

Die Uraufführung setzt die dem Stück innewohnende Energie nur bedingt frei. Allzu zahm und zögerlich vermengt sich die Gier nach sexuellen Ausschweifungen mit jener nach Geltung, Macht und Geld. Allzu harmlos lässt Regisseur Hannes Hametner die Figuren über Insidergeschäfte und Dokumentenfälschung parlieren. Haften bleibt die Polonaise der von Rosa angeführten Lüstlinge durch Lobby und Flure des Hotels in das als Höhle der Oberhexe respektive Sexgöttin fungierende Gästezimmer. Eindringlich auch ein Rondo auf der Drehbühne, das die Spielenden in diversen Paarungen vom bloßen Bordellbetrieb bis hin zu Dialogen voll verschämter Liebe zeigt. Doch ergibt sich über zweidreiviertel Stunden mancher Leerlauf. Denn auch das Bühnenbild kommt nicht wirklich zur Sache. Gesellschaftlicher Schmutz der vermeintlichen Eliten und dennoch immer wieder aufkeimende Poesie - die entscheidenden Qualitäten des Stücks - bleiben meist außen vor. Bar jeder Hotel-, geschweige Walpurgisnachtatmosphäre deutet Giovanni de Paulis den Schauplatz mittels Rezeption und Zimmertüren an. Ansonsten herrschen helle Stoffbahnen vor, daher überwiegt tabula rasa. Für Rosa ersinnt de Paulis einen Hosenanzug, der die Personalunion aus Hoteldirektorin und Puffmutter herausstreicht. Schauspielerinnenprominenz Milli darf pausenlos schicke Kleidchen wechseln. Die osteuropäischen Servicekräfte bevorzugen pinkfarbene Trainingsanzüge. Bis auf den Pfarrer sind die Herren unspezifisch gekleidet. Soweit die Regie es zulässt, überzeugen die Spielenden. Claudia Lüftenegger wird Rosas beruflicher Doppelbelastung als Managerin gastronomischer und sexueller Dienstleistungen gerecht. Julia Hell gibt die charmante und menschlich intakte Milli. Der Noch-Bürgermeistergattin Lea verleiht Johanna Franke emanzipatorische Statur. Rüdiger Hellmann ist der ebenso joviale wie bedenkenlos gegen das Bankengesetz verstoßende Vorstand des regionalen Kreditinstituts. Der Brutalität des Polizeipräsidenten Kapp weiß Thomas Dehler Nachdruck zu verleihen.

Zinnwald verdient nachgespielt zu werden.