Die Rache der Trojanerin
Final stürzt Ilia den soeben verblichenen Titelhelden vom Thron, um dort Platz für den Kronprinzen Idamante - ihren Bräutigam - zu schaffen und ihm das Diadem aufs Haupt zu drücken. Die Trojanerprinzessin im kretischen Exil versteht sich so einerseits zur Rache an einem der Eroberer ihrer Heimatstadt, anderseits darauf, in dessen regierendes Haus einzuheiraten. Regisseur Jean-Louis Grinda durchschaut die Rankünen der Monarchen. Immerhin wirkt der Monegasse und Opernintendant des Fürstentums hauptsächlich in der neben dem Vatikan und Liechtenstein einzig verbliebenen absolutistischen Monarchie Europas. So gerät denn der Showdown der Mozartoper zum wahren coup de théâtre. Grinda durchkreuzt den von den Gattungsregeln der opera seria vorgeschriebenen glücklichen Ausgang der Fährnisse ihrer Heldinnen und Helden. Das aufoktroyierte schlussendliche Wohlgefallen erweist sich als dünne Tünche herrscherlicher Machtspiele. Sobald man daran kratzt, tritt die brutale Wirklichkeit zutage. Auf den Showdown weist freilich im Vorfeld allzu wenig hin. Grinda fertigt die Figuren über weite Strecken mit konventioneller Operngestik ab. Einzig für den Titelhelden erübrigt er intensivere schauspielerische Durchformung. Bei seinem Auftritt ist nicht zu ermitteln, wovor dem kretischen König heftiger graut, den Unbilden der See oder dem furchtbaren Gelübde, für seine Rettung aus Sturmesfluten dem Gott des Meeres das erste Menschenwesen zu opfern, auf das er am Strand treffen wird. Dem szenischen Leerlauf über weite Strecken korrespondiert Laurent Castaignts zaghafte Andeutung eines Labyrinths aus recht niedrigen, verschiebbaren weißen Kreissegmenten. Darüber eine riesige Projektionsfläche für Arnaud Pottiers Videos mit zur jeweiligen dramatischen Situation passenden Meeresstimmungen. Die Personnage steckt Kostümbildner Jorge Jara in eine Mixtur aus altkretischen und unverbindlich mediterran-antiken Anleihen.
Die musikalische Seite dieses Liégoiser Idomeneo erfüllt zahlreiche Wünsche. Unter Denis Segond erledigt der Chor des Hauses versiert seine überschaubare Aufgabe. Fabio Biondi lässt das Orchester der Königlich Wallonischen Oper historisch informiert aufspielen. Im Lauf der Aufführungsserie dürfte der Klangkörper an dynamischer Feinabstufung gewinnen. Ian Koziara legt als tenoral wenig beweglicher, geradezu baritonaler Idomeneo los. Dann aber findet Koziara zu vokaler Flexibilität und einnehmenden Piani. Durch leidenschaftliche Attacke wie auch lyrische Valeurs nimmt Annalisa Stroppa für Idamante ein. Maria Grazia Schiavo führt Ilia auf stimmlich gerader Linie. Zur Furie, der gegenüber die Königin der Nacht ein Pensionatsgänschen ist, wächst sich bei Nino Machaidze die von Ilia ausgebootete Elettra aus. Machaidze haut ihre Partie dem faszinierten Publikum regelrecht um die Ohren. Zugleich gebietet sie über reiche Möglichkeiten stimmlicher Differenzierung. Koloraturen sind bei ihr nie aufgesetzt, vielmehr immer Bestandteile des melodischen Verlaufs. Weltklasse.