Fatalismus contra Lebenswillen
Revolutionen eignet das Scheitern. Sie entstehen in aller Regel aus guten Gründen: Auflehnung gegen Feudalismus, Verzweiflung wegen Hunger und sozialer Ungerechtigkeit, Wut über Diktatoren und Autokraten, Zorn wegen Gleichgültigkeit über die Nöte der Menschen. Soweit, so gut. Weniger gut hingegen die Umkehrung, wenn die charismatischen Führer aus Selbstüberschätzung dem Machtrausch verfallen und die Mechanismen dann kaum anders sind als zuvor. Die Geschichte ist übervoll an Beispielen zwischen Mittelamerika und Osteuropa, Germanien und China.
Georg Büchner hat sich für sein 1835 wie im Fieberwahn geschriebenes Drama Dantons Tod ein besonders prägnantes Exempel herausgesucht und auf wenige, geschichtsträchtige Tage fokussiert. Die Französische Revolution, die sich Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit auf die Fahnen geschrieben hatte, versinkt im Blutrausch der Guillotine. Für den Wohlfahrtsausschuss um Robespierre und seinen Todesengel St. Just besteht die politische und gesellschaftliche Welt nur noch aus Feinden, die schleunigst zu eliminieren sind. Eines der Opfer ist der ehemalige Weggefährte, der charismatische Danton.
Stephan Kimmig, der für das Theater Heidelberg die Neuproduktion von Dantons Tod in Szene setzt, sieht Danton als Frauenfigur. Ihr/ihm wird Antonia Labs Bühnenleben einhauchen, doch dieser, möglicherweise dem Zeitgeist geschuldete Einfall, erweist sich als zwar interessant, aber keineswegs dramaturgisch zwingend. Die Wandlung des Lebemanns, Bordellgängers, Spielers und Genussmenschen Danton zum Fatalisten, der offenbar von innerer Todessehnsucht gequält wird und seiner Führerrolle zur Rettung der Kameraden nicht mehr gerecht wird, findet in der Darstellerin eine emotional durchaus anrührende Exegetin. Allerdings hätte die Regie die Figur gerade in der Gefängnisszene noch etwas schärfer zeichnen dürfen.
Das von Büchner vorgesehene Großaufgebot an Figuren wird auf zehn eingedampft, was der Inszenierung gut bekommt. Um Frau Danton herum gruppieren sich Anhänger und Gegner. Robespierre (Jonah Moritz Quast) führt den Begriff „Wohlfahrtsausschuss“ ins Absurde, denn das Volk hungert, während er seiner Ideologie nachhängt. André Kuntze (Camille), Esra Schreier (Doppelrolle St, Just/Lucile), Daniel Friedl (Héraul), Steffen Gangloff (Lacroix), Friedrich Witte (Philippeau), Leon Maria Spiegelberg (Jules), Lisa Förster (Marion) und Marco Albrecht (Heman) individualisieren den kargen Bühnenraum. Den hat Katja Haß in grauer Beton-Optik und geometrischer Geradlinigkeit gestaltet. Im ersten Akt tummeln sich die Figuren auf einer Planche, um Zuordnung bemüht, doch vergebens, denn die Geschichte zeigt, dass 1792 alles aus den Fugen geriet, vor allem die Idee von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Diese zu bewahren und immer wieder zu erneuern, mühen sich „gesittete“ Gesellschaften permanent.
Das mehrheitlich jugendliche Publikum (gehört doch Dantons Tod immer noch zur Schul-Lektüre) war von der Premiere sehr beeindruckt.