Der Jüngling schaut verwirrt ins Leben
In der Ferne blinkt aus dem Dunkel der Dämmerung ein Riesenrad, es wirkt wie das ahnungsvolle Wetterleuchten einer schlimmen Zeit. Wien, etwa im Jahr 1938. Die Nazis „räumen auf“, der Boden des Antisemitismus ist schon lange bereitet. Ein naives Kerlchen vom Lande soll in Wien bei einem Bekannten seiner Mama in die Lehre gehen. Der besitzt ein „Trafik“, so eine Art Kiosk für Tabakwaren und Gedrucktes aller Art. Robert Seethaler hat daraus den Bestseller Der Trafikant geschrieben, und für das Theater Heidelberg machte Marcel Kohler eine Bühnenfassung, deren Uraufführung soeben im Alten Saal des Theaters auf große Zustimmung stieß.
Fast ein Entwicklungsroman. Die Mitter Huchel (Katharina Quast) hatte ihr eigenes Leben, ihr Sohnemann Franz Huchel (Simon Mazouri) muss wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten aus der ländlichen Idylle am Attersee nach Wien. Eine fremde, eine neue Welt, die ihn verwirrt. Nichts ist vertraut, er verliebt sich in Anezka (Henriette Blumenau); sein Lehrmeister, Trafikant Otto Trsnjek (Hans Fleischmann) ist verbittert. Der Kriegsversehrte kotzt seine Wut über die dumpfen Menschen heraus, die von Stärke und Sieg oder sonstwas schwafeln und von einem Führer träumen. Demgegenüber taumelt das Wiener Leben mit Nachtclubs und Walzern, Lebenslust und Melancholie dem Abgrund entgegen.
Die Heidelberger Inszenierung stellt - natürlich - den jungen Trafikanten Franz in den Mittelpunkt, der geradezu verzweifelt in exaltierter Körpersprache von Liebe träumt und sich einem Kunden, Herrn Dr. Sigmund Freud (Roland Bayer) anvertraut. Der ist schon abgeklärt und kann weder die Welt noch Franz retten. Zeitgeschichte und Privatheit werden von der Regie mit Rückblenden, Videos, Texteinschüben und viel Musik zwischen Donauwalzer und hartem Sound illustriert. Nach der Pause wechselt das eher turbulente Geschehen hin zu einer Art Volkshochschulkurs in Sachen Zeitgeschichte. Zitate aus Walter Kempowskis Sammel „Haben Sie davon gewusst?“ verdichten die Geschichte in beklemmender Weise.
Gespielt wird mit intensiven Szenen ausgezeichnet, die Regie hingegen will - so der Eindruck - alles auf einmal und damit ein Quäntchen zu viel.