Einzelfall oder Generalverdacht?
Ein tragischer Fall. Tod im Gerichtssaal und eine angeblich „zutiefst rassistische Struktur“ in Deutschland, die das Theater Unterm Dach mit Deutschland: Einzeltäter – Einzelfall. Eine theatrale Forensik diagnostiziert.
Ein Streit auf einem Spielplatz eskaliert. Alex Wiens, der später im Gerichtssaal austickt und Marwa El-Sherbini ersticht, macht El-Sherbini zuvor von der Seite an. Will nicht mit Kopftuch tragenden Frauen reden, fordert sie auf, das Kopftuch abzunehmen.
Die Frau zeigt den Mann an. Regisseur David Stöhr entwickelt aus der Spielplatzszene und einem schauspielerisch umgesetzten Rollenwechsel (Maja Zeco, Javeh Asefdjah, Murat Seven), einer so dargestellten Täter-Opfer-Schuld-Umkehr, eine intensive Szenerie. Äußerst gelungen mutet die Bühnen- und Video-Installation an. Mit schlichten, konzisen Mitteln wird der passende Raum für dieses bedrückende Schicksal der Marwa El-Sherbini geschaffen. Im Gerichtssaal, wo sie niedergestochen wird, wird zudem noch ihr Ehemann, der ihr zu Hilfe eilt, von einem BKA Sicherheitsbeamten niedergeschossen.
Das Theater unterm Dach schlussfolgert aus dem schicksalhaften Zusammentreffen zwischen Marwa El-Sherbini und Alex Wiens eine „zutiefst rassistische Struktur Deutschlands“. Aber stimmt das? Was ist mit dem Kraftakt, den Deutschland mit der Aufnahme von Flüchtlingen und vielen bürgergesellschaftlichen, pragmatischen Initiativen bei diesem Thema geleistet hat? Was ist mit der grundsätzlichen Bereitschaft des Rechtsstaats, sich mit persönlichen, verbalen Schlagabtäuschen auf von Steuergeldern bezahlten Spielplätzen auseinander zu setzen? Was ist mit dem Frauenwahlrecht und der Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern - in Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern erfolgreich und oft selbstverständlich gelebt?
Hier scheint die Inszenierung irgendwie in einem Gedankenkonstrukt gefangen zu sein und andere Interpretationen per se auszuschließen.
Dem Premierenpublikum gefiel dieser Zugriff auf dieses Thema.