Übrigens …

Nebucadnezar im Theater Heidelberg

Ein eitler Potentat landet im Rollstuhl

Politische Intrigen, Machtbewusstsein, Liebe, Eifersucht, heißes Begehren, ungehemmte Egoismen, Mordanschlag und ein bisschen Versöhnlichkeit. Das ist der Stoff, aus dem Christian Friedrich Hunold, selbst ein flotter Lebemann und Schuldenmacher, sein Libretto namens Nebucadnezar gefertigt hat, das Reinhard Keiser mit zauberischer Musik zur Oper fügte. Keiser, schon im letzten Jahr beim Heidelberger Barock-Festival „Winter in Schwetzingen“ wiederentdeckt, wurde vor knapp 350 Jahren geboren, und seine Musik hat jene Qualität, die einen Komponisten unsterblich macht. Vor allem dann, wenn sie im Rokokotheater Schloss Schwetzingen, dem ältesten Theater in Baden-Württemberg, das seinerzeit in zehn Wochen aus dem Boden gestampft worden war, so stimmig zum Leben erweckt wird: Das Verdienst von Dorothee Oberlinger. Sie ist der eigentliche Star des Abends, weil sie, gemeinsam mit dem Philharmonischen Orchester Heidelberg, so sicher zwischen feinfühligem Hineinhorchen und energetischer Geste, zwischen filigranem Ausloten der oft solistischen Instrumentaleinwürfe und markantem Orchestereinsatz die Musik auf ihre Qualität abhorcht und zwischendurch selbst zur Blockflöte greift, mit der sie vor ihrer Dirigier-Karriere berühmt wurde.

Ein weiterer Pluspunkt ist die Sicht der Dinge, mit der Regisseur Felix Schrödinger die Sache angeht. Da ist nichts Statuarisches wie in gewohnter Barockoper; die Protagonisten leben im Heute, wenn Nebucadnezar (Florian Götz mit kraftvollem Bariton) von irgendeinem Streifzug, der genauso eine Geschäftsreise sein könnte, zurückkehrt. Im mittigen Bühnenhintergrund residiert er jetzt auf seiner Lotterliege und lässt, offenbar zu selbstgewiss und nachlässig, die Intrigen um sich herum geschehen. Denn seine Stellung ist in Gefahr. Berater Daniel warnt ihn, wie in der Bibel; Sohnemann Belsazer (Stefan Sbonnik mit markantem Tenor) stopft willkürlich dessen Kopf in den Wassereimer, ebenso den von Sadrach. Bedrückende Szenen, die Amerikaner haben ja diese Methode scheinbar hoffähig gemacht, die sich aber in der Spielfreude einer charmanten Gesellschaftssatire auflösen.

Ansonsten ist auch viel los. Die Frauen kämpfen untereinander um die Gunst des Darius (Counter Dennis Orellana), der längst versprochen ist, aber dennoch anfechtbar bleibt. Was sagt uns das? So sind die Männer. Vielleicht aber auch die Frauen, wenn Gattin Adina (Shira Patchornik mit dramatisch geschärftem Sopran) ungeniert ihren Nebucadnezar ausbremst, ihn aus dem Rollstuhl kippt und die Unternehmensführung übernimmt. Und so weiter, und so weiter. Am Ende kommt die Titelfigur zu Choralgesang wieder etwas zu Kräften, und die Oper ist nach drei Stunden aus.

Gesungen wird attraktiv; neben den Genannten bilden Theresa Immerz (Sopran), Sara Gouzy (Mezzo), Christian Pohlers und João Terleira (Tenöre) sowie Counter Franko Klisovic ein ausgezeichnetes Ensemble. Das begeisterte Publikum war sich in der Bewunderung für diese Opernausgrabung einig.