Venedig sehen und sterben
Diesem Dichter Gustav von Aschenbach fehlt jene großbürgerlich-kultivierte Aura, die ihm Thomas Mann mitgegeben hatte. In der Heidelberger Inszenierung der Oper Death in Venice von Benjamin Britten zeigt ihn Regisseurin Magdalene Fuchsberger fast als Kleinbürger, der zwischen Stube und Küche gefangen ist; allenfalls Bücher erinnern an jene Zeit der Verehrung; jetzt scheint er eher sein Ende herbeizusehnen. Auch die Bühnenoptik suggeriert eher Untergangsstimmung, wenn Ausstatterin Monika Biegler eine Art Puppenhaus auf der Bühne mit kurzen Pfählen unterfüttert, denn Venedig ist ebenso gefährdet wie Gustav von Aschenbach.
Kammersänger Winfrid Mikus schöpft die Partie des Vereinsamten aus, der auf der Suche nach Schönheit noch einmal Venedig sehen will und sich dort (un)sterblich in den Jüngling Tadzio verliebt. Schon zu Beginn ist er symbolisch auf dem Küchenboden niedergestreckt, wo er voller Selbstmitleid umherkraucht. Der aussdrucksstarke Tenor von Mikus mit einer unverwechselbaren Grundierung wirkt ideal für diese Sicht der Dinge. Die extrem anspruchsvolle Partie mit rezitativischen Momenten im Wechsel mit ariosen Bögen wird vom Sänger in ihrer Komplexität ausgeschöpft, und sein Spiel nuanciert die seelische Qual. Allerdings lässt die Inszenierung den Sog jener prickelnd-erotischen Spannung zwischen Dichter und Jüngling nur erahnen.
Außerordentlich differenziert stellen auch Dirigent Dietger Holm und das Philharmonische Orchester Heidelberg die Partitur auf. Die Mixtur aus Reibungen, hell belichteten Instrumentalfarben, Harmonie-Entgrenzungen und suggestivem Schlagwerk kommt ausgezeichnet aus dem Orchestergraben und gibt den Sängern Halt. Da ist vor allem Bassbariton James Homann in Mehrfachrollen zwischen Geck, Gondiliere und Führer der Straßensängers zu nennen, sowie „Die Stimme Apollos“, der Franko Klisovi? einen attraktiven Counter leiht. Bermerkenswert gut ist der Chor - teils seitlich platziert, teils aus dem Off agierend – aufgestellt.
Aschenbach bewegt sich in Traumwelten. Eine David-Statuette sowie andere Gips-Jünglinge dienen ihm als Projektion zum realen Tadzio (Joel Benischek/Tobias Kelle), der scheinbar unbefangen Sehnsüchte weckt, an denen Aschenbach zerbricht: Death in Venice, in der Originalsprache gesungen und mit deutschen Übertiteln versehen, hinterlässt in Heidelberg einen starken Eindruck.