Schwerenöter scheitert an Venedigs gewitzten Frauen
Umwege sind oft reizvoller als direkte Bahnen. Von italischem Boden setzte der Miles Gloriosus des Plautus auf die britische Insel über, um sich in Shakespeares Falstaff zu verwandeln. In Trier lässt nun Regisseur Jean-Claude Berutti den abgehalfterten Ritter von Windsor nach Venedig auswandern, wo er sich umstandslos unter die Spaßmacher der Commedia dell'arte mischt. Deren Figuren haben ihn längst erwartet. Und so treibt denn der Miles Gloriosus alias Sir John Falstaff in der Serenissima als Capitano sein Wesen. Zumal die Personnage in der Lagune der in England zurückgelassenen auffallend gleicht. Falstaffs Burschen Bardolf und Pistol spiegeln sich in den Zanni, den Dienerfiguren der Commedia dell'arte. Der polternde Kaufmann Pantalone scheint ein Cousin des zwar nicht gar so brünstigen doch reichen und über die Maßen eifersüchtigen Ford. Selbst Nannetta und Fenton finden ihre Ebenbilder, denn ohne Amorosi kommt auch das Lustspiel volkstümlich italienischen Schlages nicht aus. Die Verlagerung nach Venedig geschieht daher keineswegs willkürlich. Sie entfaltet ganz eigene Reize. Die Komödie gewinnt an Leichtigkeit des Seins. Der Schmerbauch des abgehalfterten Ritters scheint sich bisweilen in einen Ballon zu verwandeln, der den weiberversessenen Trunkenbold über alle seine Niederlagen hinweg trägt. Die gewitzten und lustigen Weiber indessen überlisten den Ritter ebenso souverän wie anmutig, als ginge es ihnen um ein bloßes Gesellschaftsspiel und Stoff für muntere Konversation. Wer sich in solcher Atmosphäre zum Narren macht, sollte lernen, sein Kostüm mindestens mit Anstand zu tragen. Final gelingt das dem Schwerenöter von Ritter. Und siehe da, vom Miles Gloriosus und Capitano mutiert Falstaff zum wahrhaften Pantalone, neben dem der dieser Figur immerhin verwandte Ford verblasst. Wie für Pantalone üblich, darf sich der Ritter nun als der eigentliche Spielmacher präsentieren. Wem das zu erklügelt vorkommt, sei durch die Bühnenwirksamkeit des Ganzen vom Gegenteil überzeugt. Dass Falstaff statt der Feenkönigin zu Windsor Nannetta in Gestalt der Pierrette, einer poetisch liebreizenden Schwester des Pierrot und daher Nachfahrin des Bajazzo, erscheint, bringt des Ritters Geschichte zu Ende. Denn nun kann ihn – Venedig und Pierrette sind eben zum Sterben schön – mit zarter Hand der Tod anrühren. Kostümbildnerin Jeanny Kratochwil gewandet die Venezianerinnen in farblich feinfühlig aufeinander abgestimmte kostbar-duftige Roben der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Damen sind darin bildhübsch wie die Pastellgemälde der Venezianerin Rosalba Carriera anzusehen.Die Herren bevorzugen die schlichte Straßenkleidung jener Zeit. Doch wenn sich Falstaff in Schale wirft, prunkt er mit üppigster Gala aus den Jahren Ludwigs XIV. Das Kostüm ist von vorgestern wie sein Träger. Alles dies stellt Rudy Sabounghi auf einen kleinen Platz von maßvoll zurückhaltendem Barock. Im Vordergrund zieht sich ein Kanal mit Bootsverkehr über die Bühne. Wie die szenische, so gewinnt auch die musikalische Seite des Trierer Falstaff. Jochem Hochstenbach kostet mit dem Philharmonischen Orchester der Stadt Trier die Delikatesse der Partitur aus, ohne freilich vor deftigen Pointen zu scheuen. Kapellmeister und Klangkörper tarieren solche Gegensätze klug und souverän zum stimmigen Gesamtbild aus. Für die Titelpartie vereint Anton Keremidtchiev Freude am Wortwitz und Parlando, Sinn für feine vokale Nuancen und – falls erfordert – ritterlich-auftrumpfende Durchschlagskraft. In Spiel und Stimme duldet André Baleiros Ford wenig Widerspruch. Trefflich servieren Kenny Ferreira und Karsten Schröter die Machenschaften Bardolfs und Pistols. Magdalena Polkowska lässt Alice Ford sowohl dem brünstigen Falstaff als auch dem eigenen Gemahl tüchtig Paroli bieten. Eine beste Freundin, wie die Quickly verkörpernde Hélène Bernardy ist jeder von Männern bedrängten Frau an die Seite zu wünschen. Derek Rue ist ein tenoral stilvoll schmachtender Fenton. Kein Wunder bei einer so entzückenden Nannetta wie der Einat Aronsteins. Silberstimmig und dabei bestens fokussiert, quirlig und mit allerhand Schalk im Nacken wächst in der jungen Ford ein mindestens ebenso couragiertes Wesen heran, wie ihre Mutter eines ist.