Erschüttert, doch ungebrochen
Tausende Flugblätter regnen auf die Delinquenten herab. So, als ob Hans und Sophie Scholl im Lichthof der Münchner Universität stünden, gleich den Kommilitoninnen und Kommilitonen, denen ihre Aufrufe galten. Die Papierflut lässt sich nicht leugnen, ebenso wenig ihr aufrüttelnder Inhalt. Die Universitätsangehörigen und Menschen weit über die alma mater der bayerischen Kapitale hinaus werden hindurch stapfen und sich zu dem, wessen die Weiße Rose die braune Bande anklagt, verhalten müssen. Sophie Scholl wird in der Stunde vor ihrer Hinrichtung durch diese Gewissheit bestärkt und sie mit unter das Fallbeil nehmen. Ihr Bruder Hans hingegen droht zu verzweifeln, ehe er sich zur neuerlichen Einsicht in die Sinnhaftigkeit seines Widerstands durchringt. Regisseur Maximilian Eisenacher unterschlägt die voneinander abweichenden Erfahrungshorizonte der Geschwister nicht. Zwar sind beide tief durch ihr protestantisches Bildungsbürgertum geprägt, Hans freilich zeigt sich durch seine Erfahrungen beim deutschen Überfall auf Russland schockiert. Er kennt die Kriegsverbrechen der Wehrmacht aus eigener Anschauung. Hans weiß, was Lynchjustiz bedeutet. Sophie hingegen blieb erspart, Augenzeugin der Gräuel zu werden. Ihr darf daher gelingen, selbst in der Stunde vor ihrer Hinrichtung wider allen Zweifel reines Gottvertrauen und beinahe utopisch unbefangene Freude an den Schönheiten der Welt zu bewahren. Letztlich zum Trost auch des Bruders. So führen denn Regisseur Eisenacher und Bühnenbildnerin Lisa Moro - anders als das im Zuchthaus München-Stadelheim der Fall war - die Geschwister in der Stunde vor dem Justizmord in einer gemeinsamen Todeszelle zusammen, wo sich ihr Denken und Empfinden ab und an vereinzelt, doch immer erneut zusammenfindet. Die Spielstätte im U 17, tief unter dem Platz zwischen Großem und Kleinem Haus des Mainzer Staatstheaters, mutiert hier zum tiefen Verlies oder gar Grabesschacht, bei dem sich Todesahnung beinahe wie von selbst einstellt. Zwar herrscht dort nicht die Enge der Zuchthauszelle, dennoch gibt es aus den Mauern des Kerkers kein Entrinnen. Antonia Hilchenbach kleidet die Scholls zeittypisch für die vierziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Ohne auf Mimikry zu zielen, geben sich die Physiognomien der Geschwister deutlich zu erkennen.
Beklemmend wie die szenische ist die musikalische Seite. Paul-Johannes Kirschner spielt mit dem aus Mitgliedern des Philharmonischen Staatsorchesters Mainz zusammengesetzten Kammerensemble - wie die Partitur gebietet - oft spröde und herb auf. Das schließt grundmusikantische Reminiszenzen an Tanz und Fest nicht aus. Für Sophie Scholl erfüllt Alexandra Samouilidou jede ihrer zuweilen bis an die Grenze des Singbaren reichenden Phrasen mit Wärme, melodischem Gespür und Expression. Samouilidous deutsche Diktion ist vorbildlich. Auch Gabriel Rollinson singt außerordentlich textverständlich, dabei noch in drohender Verzweiflung nobel und nahezu belcantesk. Weiße Rose in Mainz bewegt zutiefst.