Eitle Männer, gewitzte Frauen
Der Fettwanst tänzelt mit einer Leichtigkeit und Anmut über die Bühne wie der Page am königlichen Hof oder gleichermaßen tapfere und galante Ritter, der er einst war. Keine Frage, des jungen Edelmannes kecke Blicke blieben von den Hofdamen nicht unerwidert. Auf den königlichen Bällen hat es ihm an Tanzpartnerinnen gewiss nicht gefehlt. Sir John Falstaff muss ein Frauenschwarm gewesen sein. Indem der längst abgehalfterte Ritter sich grazil über die Schauplätze zu bewegen weiß, lässt Regisseur Jacopo Spirei die viel versprechende Jugend des nun welken Edelmanns immer wieder durchblitzen. Noch auf der Schwundstufe ist er nicht Irgendjemand. Die blitzgescheiten Bürgersfrauen von Windsor würden sich kaum mit den Avancen des brünstigen Sir abgeben, fehlte ihm das Adelsprädikat.
Obschon heruntergekommen, Falstaff ist Mann von Stand. Indessen krasser Außenseiter. Für Windsors gewitzte Frauen die Lizenz, ihn zu nasführen und gar in die Themse zu entsorgen. Aus Mutwillen und Schadenfreude tänzeln sie durch die Straßen des Städtchens auf ihre Streiche zu wie Sir John auf sein Liebesabenteuer. Nannetta nimmt am Treiben ihrer Mutter und der anderen Geschlechtsgenossinnen nur bedingt Anteil. Ihr Gehopse gilt der Liebe zu Fenton. Worauf es aber mit dem jungen Mann hinauslaufen wird, zeigt sich im nächtlichen Forst: Fenton streift wie Falstaff in Gestalt eines brünftigen Hirschen durchs Revier. Ganz gleich, ob sie sich dazu selbst mit prächtigem Geweih zieren oder die Frauen ihnen eines aufsetzen: Gehörnt sind die Männer allemal. Lauter Gefoppte halt. Der schmerbäuchige Rittersmann und der alerte Liebhaber erhalten, was ihnen zusteht. Fenton scheint für Nannetta nur so lange begehrenswert, wie das väterliche Nein zur Ehe mit ihm währt. Der erfüllte Wunsch wird ihren Hunger auf den jungen Mann stillen. Für alles dies ersinnt Nikolaus Webern eine augenzwinkernd britische Szenerie. Putzig der in inseltypischem Klassizismus gehaltene Straßenzug auf halbem Weg zwischen Originalgröße und Miniatur. Im Heim der Fords fehlen weder Kamin und englisches Mobiliar noch passend bedruckte Stoffe. Für das Finale fahren die Häuser in den Bühnenhimmel, um an des brünstigen Ritters krause Gedanken erinnerndes Gestrüpp freizugeben. Silvia Aymonino steckt die Personnage in heutige Mode. Die Damen zeigen ihren Wohlstand in teuren Fummeln, von denen sie am liebsten das Preisetikett nicht abgeschnitten hätten. Nannetta nimmt, was immer ihr steht, woher es auch kommt. Wenn Falstaff sich in seinen leuchtend blauen Zweireiher wirft, hält er es dennoch nicht für notwendig, auch einmal die schweißdurchtränkte Leibwäsche zu wechseln.
Ernster als die szenische, präsentiert sich die musikalische Seite. Giampaolo Bisanti nimmt mit dem Orchester der Königlich Wallonischen Oper das Werk nicht auf die allzu leichte Schulter. Wenn die Titelfigur sich siegesgewiss auf den Feldzug um der Frauen Gunst begibt, unterstreichen Kapellmeister und Klangkörper die vermeintliche Heldenhaftigkeit des Ansinnens. Fords Eifersuchtsausbruch tönt aus dem Graben, als begebe sich einer der Verdischen Baritonschurken ans Rachewerk. Beständige Wachheit und Unbefangenheit samt fortwährendem Esprit billigt Bisanti hingegen allein den Frauen zu. Alles dies sagt Pietro Spagnoli in der Titelpartie ganz unbändig zu. Spagnolis Falstaff misst die gesamte Skala zwischen Trunkenbold, Möchtegern-Weiberheld und final Weltweisem aus. Jede Phrase ist bis ins Letzte erwogen. Buffoneskes, Kavaliermäßiges und gar Anflüge des Heldischen weiß Spagnoli zur immer richtigen Zeit und jeweils trefflich zu platzieren. Eine ebenso selbstbewusste wie charmante und zu jedem Spaß aufgelegte Ford verkörpert vokal strahlkräftig Carolina López Moreno. Wuchtig und mit eminenter Durchschlagskraft gibt Simone Piazzola einen zum Drama neigenden Ford. Vokale und spielerische Agilität bietet Francesca Benitez für Nannetta auf. Anna Maria Chiuri stattet die Quickly mit boshaftem Witz und Riesenstimme aus.