Die Bühne lebt, das Orchester tobt
Sterndeuter genossen schon immer ein hohes Ansehen, und je genauer die Beobachtung und raffinierter die Differentialgleichungen, desto genauer die Vorhersagen. Aber ein Rest der Unsicherheit bleibt, wenn der Astronom Virmula den Zusammenstoß eines grünen Kometen mit der Erde in allernächster Zeit vorhersagt. Doch seine Sinus-Asinus-Kurven scheinen ihm so genau, dass die Menschen zwei Tage lang entweder verzweifelt ihrem Ende entgegen sehen, oder Halt in einer Sekte suchen, alternativ aber fatalistisch lustig heiraten werden. Die ganze Bandbreite kurz vor dem (vermeintlichen) Ende.
Kurt Schwitters, der Hohepriester der Dada-Bewegung, schrieb vor etwa 100 Jahren ein Opernlibretto solchen Inhalts, an das sich kein Komponist heranwagte. Erst jetzt fand das Theater Heidelberg in Ludger Vollmer einen Wagemutigen, der Schwitters' Groteske nicht nur mit komödiantischem Schwung gerecht wird, sondern ein Panorama bühnentauglicher Möglichkeiten auffächert. Seine Musik pendelt zwischen harter, ja böser Metrik und Gassenhauer-Zitaten jener Zeit, lässt einen erholsamen Musette-Walzer aufleuchten, um dann wieder grell aufzublitzen, wie auch Regisseur Christian Brey die kaum überschaubare Figuren-Staffage durcheinander wirbelt. Eine Art Tanz auf dem Vulkan, fröhlich-verrückt, kindisch-veralbert. Dada.
Schon 1907 hatte der Heidelberger Astronom Max Wolf das Auftauchen des Halleyschen Kometen vorausgesagt und weltweite Panikattacken ausgelöst. Da passt es, dass das Theater Heidelberg dieses Werk in Auftrag gab, dessen Sujet in die Philosophie des Hauses passt, die da heißt: Spielfreude. In greller Kostümierung würfelt die Regie alle Figuren durcheinander, die als Irdische ihre Ängste oder Lust ausleben und als Marsmenschen-Beobachter in wunderlichem Kauderwelsch vergnügt sind.
Das Theater Heidelberg würdigt Vollmer/Schwitters mit einer großartigen Ensembleleistung, zu der wesentlich das ausgezeichnet auftrumpfende Orchester unter der anfeuernden Leitung von Dietger Holm beiträgt. Die vielen Rollen um den Astronomen Virmula in Magier-Pose (James Homann) sind passgenau besetzt; Chor und Tänzer reizen die Abläufe bis hin zum Klamauk aus. Schwitters' Spott über eine Zeitenwende scheint tragfähiger Stoff für eine zeitgenössische Oper, die ohne selbstquälerische Kompositionstechniken daher kommt.
Gut gemacht, viel Beifall bei der Premiere.