Bekehrte Sünderin gilt mehr als frömmelnde Gralsritter
Das mag des Rätsels Aufklärung für Wagners kryptischen Schlussvers sein: „Erlösung dem Erlöser!“ meint in Ulm die gemeinsame Übernahme des Gralkönigtums durch Parsifal und Kundry. Der Held überlässt seiner neuen Gefährtin den Speer, um des Amfortas sehrende Wunde zu schließen. Final teilt sie aus dem Gral die Kelchkommunion an die Ritter aus. Regisseur Kay Metzger verstärkt, was an Unterschwelligem zwischen Parsifal und Kundry wirkt, zur Paarbeziehung. Der reine Tor erkennt hellsichtig, dass Erlösung keine einseitige Angelegenheit sein darf. Kundrys Taufe und Fußwaschung erheben sie zu ihm auf Augenhöhe: Demut, die zum Königsamt promoviert, waltet zwischen beiden. Doch übt das neue Monarchenpaar sie nicht allein aneinander, sondern an der gesamten Gralsgemeinschaft. Parsifal und Kundry werden zu dem, was die Päpste in ihrer Selbstbezeichnung oft nur von sich behaupten, servus et serva servorum dei, Diener der Diener Gottes. Freilich muss offen bleiben, ob dieser neue Geist sich durchsetzen wird. Denn noch besteht die Ritterschaft des Gral ausschließlich aus Männern - sauberen Herren einer selbstgefällig-kriegerischen Priesterkaste. Der Kommunion, die der Kelch spendet, wohnt für solchen Klerus bloße Magie inne, nicht die Spur von Mysterium. Ein Zaubertrank halt. Angesichts von Amfortas' Verweigerungshaltung balgen die bigotten Herrschaften sich darum wie um den Schluck aus der Pulle. Kein Wunder, dass Frömmelei und die mit ihr beinahe zwangsläufig einhergehende Verklemmtheit für die Verlockungen in Klingsors Zaubergarten geradezu prädestinieren. Regisseur Metzger gelingt auch deshalb die prägnante Milieustudie des Kriegskleriker-Konvents auf Montsalvat, weil sich Details der katholischen Liturgie präzise beobachtet zeigen. Das reicht von der kultischen Choreografie, Segensgesten und Kreuzzeichen bis zur Gewandung. Bühnen- und Kostümbildner Heiko Mönnich steckt die Gralsritter in schwarze Anzüge und Kollarhemden. Amfortas ist durch Bischofskreuz und rote Stola ausgezeichnet. Hingegen begegnet Klingsor halb und halb als Jesus-Travestie und Guru. Das die Bühne beherrschende monumentale Kreuz wandelt sich zur Pop-Art-Ikone. Statt dem im Gralskontext doppeldeutigen „Gott ist tot“ prangt nun das nicht minder doppeldeutige „Love“ als Titulus über dem Gekreuzigten.
Musikalisch kommt die Ulmer Erstaufführung des Parsifal zahlreichen Wünschen entgegen. Unter Nikolaus Henseler erfüllen Chor und Extrachor des Hauses raumgreifend und präzise ihre anspruchsvollen Aufgaben. Das frisch zum B-Orchester beförderte Philharmonische Orchester der Stadt Ulm erweist sich seinem neuen Rang vollauf gewachsen. Streicher, Holz und Schlagwerk sind vorzüglich, das Blech tönt versiert. Generalmusikdirektor Felix Bender sorgt für dynamische Ausgewogenheit und Durchhörbarkeit. Mit Markus Francke bietet das Ulmer Theater einen Parsifal aus dem eigenen Ensemble auf. Francke agiert vokal und spielerisch jederzeit rollendeckend. Sabine Hogrefe setzt für Kundry klug disponierte Akzente. Seinem Gurnemanz entlockt Wilfried Staber manch' mit weitem Atem ausgekostete Phrase. Dae-Hee Shin gibt einen geradezu belcantesken Amfortas. Großer Jubel am Karfreitag im ausverkauften Haus.