Die Geschichte endet mit Buhrufen
Zur Sprechpuppe degradiert kommt der Dirigent Karl Böhm in der gleichnamigen Inszenierung am Deutschen Theater wahrlich nicht gut weg: Ein zeternder, leicht schleimiger Kauz scheint dieser Dirigent Böhm zu sein, der in österreichischem Slang überheblich über die Musikbranche schwadroniert und sich den Nationalsozialisten an den Hals wirft.
Das Narrativ am Deutschen Theater scheint klar, aber stimmt es auch? Der Musikfetischist Böhm war nie NSDAP-Mitglied, aber dirigierte 1936 die „Meistersinger von Nürnberg“ auf dem Reichsparteitag. Wagner wiederum hat innerhalb des „Dritten Reiches“ eine schillernde Rolle: Der 1883 verstorbene Komponist ist nicht nur der Lieblingskomponist des Führers, sondern gilt auch aufgrund seines Aufsatzes „Das Judentum in der Musik“ als Antisemit.
Juden scheinen auch eines von Karl Böhms Lieblingsthemen, so wird es jedenfalls am Deutschen Theater dargestellt: Er reibt sich am Komponisten Mendelssohn und schielt neidisch auf attraktive Stellen, die von vielen seiner jüdischen Kollegen im deutschsprachigen Kulturbetrieb besetzt werden.
Ein hochbrisanter, relevanter Stoff, den der genial aufspielende Puppenspieler und Puppenbauer Nikolaus Habjan in diesem Solo aufdröselt und damit die Verflechtung zwischen Politik und Kunst am Beispiel des künstlerisch begnadeten Dirigenten Böhm aufzeigt.
Komponisten seien „faszinierende Wesen: Musikalisch von höchster Sensibilität, gebieten sie als gottähnliche Alleinherrscher über teils riesige Klangkörper. Sie müssen sowohl Empfindsamkeit als auch Führungsstärke mitbringen, und ihre Fingerzeige setzen eine Hundertschaft in Bewegung“, schreibt das Deutsche Theater.
Aber sind Komponisten auch die besseren Menschen? Wohl nicht. Natürlich schielen auch Künstler*innen auf Posten, Geld und Aufstiegschancen. Böhm kann zu diesem Narrativ nichts mehr sagen. Sein Sohn Karlheinz, der mit Romy Schneider in der Sissi-Saga vor der Kamera stand, bis diese sich im Nachkriegsdeutschland lieber dem französischen Kunstfilm zuwandte, gründetet die Aktion „Menschen für Menschen“ und scheint vom Vater wenig geerbt zu haben.
Ob die zwei Schauspieler*innen am Set von Sissi auch über die Rolle ihrer Eltern im Dritten Reich diskutiert haben, ist theater:pur nicht bekannt. Auch nicht, ob Böhm wirklich Antisemit war. Jedenfalls streiten laut Wikipedia sich darüber bis heute Historiker*innen. In der Nachkriegszeit fällt dem Dirigenten Karl Böhm seine Nähe zu Hitler natürlich auf die Füße – verfemt und ausgebuht erscheint er verbittert. Und damit endet die Geschichte.
Eine interessante Auseinandersetzung mit dem Dirigenten, die am Deutschen Theater mit Ovationen im Stehen belohnt wurde.