Übrigens …

Tristan und Isolde im Festspielhaus Bayreuth

Wunderliche Rumpelkammer

Da steht sie inmitten gewaltiger Stoffbahnen, die irische Königstochter Isolde. Ihr Kleid ist zugleich Königsmantel und Schreibgrund für allerlei Worte, die sie auf den weißen Stoff kritzelt. Was mögen sie bedeuten?

Die Frage führt unmittelbar zum Kernproblem der diesjährigen Neuproduktion im Bayreuther Festspielhaus. Denn das Regieteam um den Isländer Thorleifur Örn Arnarsson geizt nicht mit Bildideen, die Altbekanntes wie den Königsmantel mit Neuem wie der Schrift, die sich auf dem Körper des Brautwerbers und Liebhabers Tristan fortsetzt, zusammenfügen. Doch ihre Symbolik offenbart sich vielfach nur in Details, die in Parkettreihe 5 oder bei der Übertragung in Kino und Fernsehen sprechend sein mögen - sich aber in der Weite des Festspielhauses verlieren.

In den Corona-Jahren hatte es schon eine gelobte Inszenierung von Tristan und Isolde durch Roland Schwab gegeben, die nach nur zwei Spielzeiten wieder weichen musste. Arnarssons neue Version zog am Premierenabend zwar vorwiegend Applaus und nur wenige Buhs auf sich, wirkte aber über weite Strecken szenisch eher beliebig. Dass bestimmte Handlungselemente wie das selbstmörderische Duell Tristans mit Melot am Ende des zweiten Aufzugs unterspielt oder ausgelassen wurden, trug wenig zu neuer Sinnstiftung bei. Und der gesamte dritte Aufzug, von Tristans Siechtum in seiner Heimat Kareol bis zu Isoldes Liebestod, war innerhalb eines üppigen neuen Bühnenbildes äußerst konventionell inszeniert.

Überhaupt, diese Bühnenbilder: Vytautas Narbutas hatte im ersten Aufzug noch zurückhaltend Tristans Schiff, auf dem Isolde zum künftigen Gatten König Marke gebracht wird, mit ein paar Tauen als Symbol der Takelage symbolisiert. Den zweiten Aufzug hingegen prägte ein gewaltiges Bild, das als Inneres eines Schiffsrumpfes wie auch als Palastruine gelesen werden konnte und zudem allerlei Kunstwerke und Gegenstände mit Sehnsuchts-Ausdruck versammelte. Was wie eine barocke Wunderkammer anmutete, reizte schon in den Pausengesprächen manche Zuschauer zur Assoziation „Katharina Wagners Rumpelkammer“. Und so wunderlich dieser Raum auch illuminiert werden konnte, so fatal verloren sich die Figuren darin. Kaum konnte man aus den hinteren Reihen des Parketts erkennen, dass zu Beginn des Liebesduetts die Requisiten Schwert und Trank als elementare Kräfte für die Liebe Tristans und Isoldes wiederkehrten. Im dritten Aufzug waren die Bildelemente zwar äußerst kunstvoll auseinandergenommen und neu arrangiert - doch die Lichtregie gestattete es bisweilen nicht einmal, zu erkennen, wer denn da gerade singt. Die Video-Aufzeichnung wird es zweifellos enthüllen.

Gesungen wurde bei der Premiere zwar auf Festspiel-Niveau, dies aber auf unterschiedliche Weise. So bewies Heldentenor Andreas Schager nach lyrisch schönem Beginn als Tristan schon bald, dass er der wohl lauteste Recke auf dem Grünen Hügel Bayreuths ist. Dadurch fing er sich aber nicht nur ein paar Unsauberkeiten, sondern am Ende auch stimmliche Ermattung ein, die ihn die letzten Passagen nur mit Mühe und Tricks überstehen ließ. Günther Groissböck war ein bass-samtiger, aber nicht so prägnanter König Marke wie sein Rollenvorgänger Georg Zeppenfeld, Christa Mayer fügte als Brangäne ihren großen Bayreuther Erfolgen einen weiteren Triumph hinzu. Sie ergänzte sich zudem in idealer Weise mit Camilla Nylund als Isolde: Die finnische Sopranistin liefert nicht die Trompetentöne legendärer Hochdramatischer, sondern gestaltet die Partie bis zum letzten Ton des Liebestodes mit weichem vokalen Glanz: ein wunderbare Vorstellung.

In diesem Punkt traf sie sich auch genau mit den interpretatorischen Ideen des Bayreuth-Debütanten Semyon Bychkov: Der Dirigent blieb seiner zu Beginn des Vorspiels noch von Nebengeräuschen übertönten Vorstellung eines zarten, fast kammermusikalischen Geschehens aus dem Orchestergraben treu. Das hatte zwar den Nachteil, die Siedepunkte der Liebesemphase auf eher kleiner Flamme zu köcheln, wurde aber vom Festspielorchester als Fest filigraner Farben umgesetzt. Schade nur, dass der ins Off verbannte Männerchor so dumpf dazu tönte.

Das Werkstattprinzip der Bayreuther Festspiele, wonach die Inszenierungen Jahr um Jahr verbessert werden, könnte diesem Tristan nur nützen, wenn man ihm die Gelegenheit gibt. Denn das altvertraute „Entrümpeln“ der Szene könnte seiner zeitweiligen Langeweile ebenso nützen wie das Beleben des Geschehens.