Verkorkste Weihnachtsstimmung
„Früher war mehr Lametta“, spöttelte Loriot. Nicht so in Heidelberg, wo ein silbern gleißender Bühnenvorhang anfangs „Ein Puppenhaus“ verbirgt, wo jene Nora von Ibsen ihre Identität sucht und drei zeitgenössische Dramatikerinnen, darunter die Mülheimer Preisträgerin 2024, das emanzipatorische Streben dieser Figur am Heute abmessen wollen und dafür griffig-abgründige Texte zuliefern und ins Spiel integrieren. Dabei spiegeln sie die Mutter dreier Kinder auch in fiktiven Empfindungen ihrer Nachkommen.
Die Idee dazu wurde an den Münchner Kammerspielen geboren und sie passt. Denn die Autorinnen verzichten auf den feministischen Holzhammer, wenn sie eine Frau in inneren Nöten noch greifbarer machen, als sie ohnehin von Henrik Ibsen angelegt wurde. In dieser Inszenierung will Nora zwar aus ihrem Puppenhaus, jenem Sinnbild für damalige gesellschaftliche Zwänge ausbrechen, aber die Flucht gelingt ihr nicht, das Ende bleibt in dieser Version offen. Doch sind die Zwänge heute überwunden, wie etwa die Abhängigkeit vom Mann?
Nora, schrill und vielschichtig von Henriette Blumenau gespielt, schmückt sich gern, ihre Umwelt nimmt sie als verwöhntes Bürgermädchen wahr.. Auf Männer wirkt sie verlockend, ihr Gatte, der Advokat und Banker Helmer, betrachtet sie als Eigentum Hier zollt die Regie von Jana Vetten der optischen Griffigkeit Tribut, denn die psychische Dimension dieser Abhängigkeit wird etwas abgeschliffen zugunsten des „Thrillers“ (so der Untertitel in Heidelberg). Sie reduziert sich auf die Schuldschein-Story und gefälschte Unterschrift, die den erhofften, unbeschwerten Festtag verderben. Klar doch, an Weihnachten führen Familiendialoge oft ins Unglück, wenn Unausgesprochenes plötzlich an die Oberfläche drängt.
Die Bühne ist mit dem den Raum beherrschenden Puppenhaus geschickt bespielbar und die Darsteller und Darstellerinnen ausgezeichnet besetzt. Ehemann Helmer erhält von Friedrich Witte die Züge eines Karrieristen, der bewusst alles ausblendet, was die Laufbahn stört; Nora gehört ihm und hat zu tun, was er sagt; der Herr im Haus negiert, was Nora bewegen könnte. Rechtsanwalt Krogstad findet in Leon Maria Spiegelberg einen vereinsamten Intriganten, der zwischen dem Motto „Ein Mann will nach oben“ und seinen Sehnsüchten hin- und hergerissen ist. Thorsten Hierse (Doktor Rank), Maria Dziomber (Kristine) und Nicole Averkamp (Kindermädchen) komplettieren ein Ensemble, dessen Spielfreude durch Tommy Baldu am Schlagzeug illustriert und klanglich grell belichtet wird.
Die Premiere hinterließ Nachdenklichkeit; sie beschloss die Saison und wird die nächste Spielzeit wieder aufgenommen.