Übrigens …

Carmina Burana/Pagliacci im Theater Koblenz

Doppelpack kombiniert Liebesglück mit tödlicher Eifersucht

Die Kombination von szenischer Kantate und Verismoreißer scheint zusammengewürfelt. Soll aber die Analogia entis, der Zusammenhang von allem mit allem, bemüht werden, dann ergibt sich dieser aus der beiden Werken innewohnenden Dominanz von Liebe und Leidenschaft. Freilich bei Orff in gesunder und lebensbejahender Weise, bei Leoncavallo als Eifersuchtsexzess. Sei dem, wie ihm sei: Das Doppelpack auf dem Ehrenbreitstein, wohin das Theater Koblenz seit geraumen Jahren seinen Kehrhaus der Spielzeit unter freien Himmel verlagert, spannt zwei Zugstücke zusammen, die sich in der Volksfestatmosphäre mit ihren Würstchen-, Wein- und Bierbuden wie zuhause ausnehmen. Bei Carmina Burana reklamiert Hausherr Markus Dietze für sich lediglich die „Szenische Einrichtung“. Solche Bescheidung steht ihm gut an. Der Chor ist trefflich arrangiert. Immer wieder dialogisieren die räumlich voneinander abgesetzten Stimmgruppen. Solisten und Solistinnen treten effektvoll wie in Show oder Musical auf. Christian Binz stellt dazu reizvolle optische Staffelungen gewährende Treppen und Podeste auf die Bühne. Sascha Thomsen gewandet den Chor heutig und in Rot. Der Schwan brilliert im schwarzen Pailettensmoking, auch sonst herrscht bei Solo-Sopran, Tenor und Bariton Showbizz.

Musikalisch gerät Orffs Dauerbrenner bestechend. Der Chor des Hauses lässt sich unter Lorenz Höß rhythmisch akkurat und klangprächtig vernehmen. Bei solch' überschäumender Lebensfreude im Verein mit musikalischer Disziplin springt der Funke direkt ins Publikum über. Felix Pätzold setzt mit dem Staatsorchester Rheinische Philharmonie auf zügige Tempi und dramatische Verve. Sunnyboy Dladla überzeugt mit agilem Tenor. David Pichlmaier verfügt über einen smarten Bariton. Die vokale Krone gebührt der famosen Hana Lee. Die Koloratursopranistin nimmt durch schwebende Leichtigkeit und makellose Spitzentöne ganz unbedingt für sich ein. Nach 15 Jahren verlässt Lee das Haus. Zum ausgezeichneten Ruf von dessen Musiktheatersparte hat sie durch die Verbindung von vokaler Virtuosität und spielerischem Einsatz wesentlich beigetragen.

Während beim Pausenbier die Erinnerungen an Lees Königin der Nacht, ihr Schlaues Füchslein, Gilda und Zerbinetta, aber auch ihren Einsatz für das zeitgenössische Musiktheater langsam verklingen, wandelt sich die Szene zur italienischen Provinz von Pagliacci. Was das Bühnenbild anlangt, bedarf es dazu nicht viel. Die Treppen- und Podestlandschaft zeigt sich nun durch eine Arkade hinterfangen. Dem Publikum der Komödiantentruppe verpasst Kostümbildnerin Mara Lena Schönborn Schwarz. Vor diesem Hintergrund verschafft sich die farbintensive Zivilgarderobe der Wandertheaterleute ebenso Geltung wie deren Commedia-dell'arte-Gewandung. Canio und die Seinen ziehen begleitet von Zirkusartisten auf die Bühne. Regisseurin Inga Schulte kontrastiert die brodelnde Erwartungshaltung der nach Abwechslung lechzenden Provinzbevölkerung mit der Routine des fahrenden Theatervolks. Deren Chef liegt eher daran, die Karten zu schlagen als am Spiel auf der Bühne. Kein Zweifel, dieser Canio ist eigentlich ein ziemlich bürgerlicher Typ. Freilich ein Macho durch und durch. Wenn Pagliacco auf der Bühne gute Miene zum Ehebruch der Angetrauten macht, beweist der Zivilmensch wenig Tötungshemmung. Wem das pathologisch vorkommt, erwäge, dass in Italien Mord- und Totschlag aus Eifersucht bis vor wenigen Jahrzehnten als Kavaliersdelikt und beinahe zu duldendes gesellschaftliches Phänomen behandelt wurden. Regisseurin Schulte setzt die Leichtfüßigkeit der Commedia dell'arte präzise vom gesellschaftlichen Alltag jenseits der Bühne ab.

Auch musikalisch bauen die Koblenzer mit aller dramatischen Durchschlagskraft auf die Zugstückqualitäten der Pagliacci. Der Chor des Hauses besticht durch umwerfende vokale und spielerische Präsenz. Mit der Rheinischen Philharmonie treibt Felix Pätzold das Geschehen erbarmunglos voran. Tobias Haaks ist ein Intensiv-Canio von Format. Das schwere italienische Heldenfach kommt ihm genau so gelegen wie das deutsche. Der Koblenzer Ehrenbreitstein wird so vollends unter mediterranen Himmel verlagert. Mit viril-durchschlagskräftigem Bariton beglaubigt zudem Insu HwangsTonio die Italianità. Selbstbewusst reklamiert Martyna Cymerman für Nedda auch jenseits der Bühne der Commedia dell'arte Lizenzen in Sachen Liebe.