Alles Walzer, fast
Dass im „Goldenen Mainz“ Maskeraden hoch im Kurs stehen, ist Binsenwahrheit. Als Exoticum kommt da eine Wienerische gerade recht. Statt Karnevalsmärschen nun also Walzer. Trefflichst verstehen sich die Mainzer auch darauf. Theresianisches Rokoko ist dabei nur von Belang, soweit es kostümlich zu Allongeperücken samt rosa Livreen und Kleidchen der durch und durch diversen Domestikenschaft taugt. Männlein oder Weiblein oder sonst noch was, wer weiß das schon? Wer will es überhaupt wissen? Wir sind im Rosenkavalier. Das Rosa der Dienstboten bietet da den probaten Fond für die Auftritte der übrigen Personnage. Allen voran Octavian im altrosa Seidenanzug. Für die Überreichung der silbernen Rose freilich - eines in Mainz ausgesprochen hübschen Glitzerdings - bevorzugt das Gräflein den gülden durchwirkten Frack. Der Marschallin Gewandung lässt sich an Stil kaum überbieten. Wie sie final und verlassen ganz in blutvollem Rosenrot von Hut, Kleid, Cape und Schuhen ihre Fassung zu wahren sucht, zeigt die vollerblühte Frau, von der zu lassen der hohe Preis ist, den der junge Rofrano für die gerade erst aufspringende Knospe Sophie zahlt. Wiewohl Landmann, so zeigt sich selbst Ochs modisch beschlagen. Im gehobenen Countrystyle platzt er in die Morgentoilette der Marschallin, der städtische Dreiteiler für den Mittelakt stammt aus offenbar renommiertem Atelier, im Beisel hüllt sich der Lerchenauer in Zuhälterschwarz. So spielen denn die Gewandungen bis in kleinste Nebenrollen dieser Verwechslungs- und Kleidertauschkomödie mit wie das selten einmal zu erleben ist.
Regisseur Georg Schmiedleitner bieten die Kostüme von ihm zielsicher bediente Steilvorlagen. Schmiedleitner nimmt die Figuren bei Wort und Ton. Nicht ihre Empfindungen sind lächerlich, selbst des Lerchenauers Geilheit nicht. Jedenfalls nicht für deren eigene Wahrnehmung, doch amüsant für's Publikum. Gleichermaßen gilt das für den Jungspund von Octavian, den Backfisch Sophie, den ganz offen triebgesteuerten Ochs wie für die Marschallin. Zwar erklärt Letztere das Bäumchen-Wechsle-Dich zur Maskerade, um sich souverän in lebensklug-melancholischem Licht zu positionieren. Kein Zweifel aber, sie wird sich zu trösten wissen. Das theresianische Wien wimmelt vor jungen Grafen. Noch gesteigert wird das Vergnügen durch die Aufwertung von Nebenrollen. Und so gibt sich das profitorientierte Intrigantenpaar Valzacchi und Annina bereitwilligst zu einträglichen Machenschaften und damit Treibriemen der komödiantischen Geschehnisse her. Stefan Brandtmayr ersinnt für alles dies eine Bühne, deren rosendurchwirkte Seitenwände ein wandelbares Gelass rahmen, das gleichermaßen zum Alkoven in der Marschallin Boudoir wie zum Faninalschen Vestibül wie Beisel-Séparée taugt.
Dem szenischen Vegnügen entspricht das musikalische Plaisir. Zwar droht sich Daniel Montané mit dem Mainzer Staatsorchester anfangs zu übereilen, doch realiseren Kapellmeister und Klangkörper rechtzeitig den Unterschied zwischen bloßer Hast und erotischem Sturm. Nadja Stefanoff gibt eine Marschallin voll spielerischer und vokaler Eleganz. Die melancholischen Anwandlungen ihrer Figur stattet Stefanoff mit Noblesse aus. Eitel, dünkelhaft und verschlagen lässt Derrick Ballard den Ochs daherkommen. Der Lerchenauer hat keinen Begriff davon, wann der Spaß aufhört und der Ernst beginnt. Strahlend schöpft Karina Repova für Octavian aus dem vokal und spielerisch Vollen. Sophia Theodorides ist eine in jeder Hinsicht berückende Sophie. Das Intrigantenpaar Valzacchi und Annina gerät bei Alexander Spemann und Niina Keitel zum Kabinettstück. Maren Schwier bringt die Leitmetzerin auf den skurrilen Punkt.
P.S. Die Produktion wird ab dem 12. Oktober wiederaufgenommen. Wer sich dazu in die rheinland-pfälzische Kapitale aufmacht, die oder den erwartet vor Beginn und in den Pausen zügige Versorgung mit Trink- und Essbarem. Beides (zudem das Programmheft) ist im Eintrittspreis inbegriffen. Daher entfallen schlangenbildende und zeitraubende Bezahlvorgänge. Auch gastronomisch wissen die Mainzer, was die Uhr geschlagen hat.