Übrigens …

Luisa Miller im Theater Osnabrück

Keine Chance für ein gemeinsames Leben

Wenn Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Milieus heiraten, ist das heute kein wirkliches Problem mehr, selbst für königliche Häuser nicht. Beispiele gibt es genug. Vor 200 Jahren war das noch anders. Da waren derlei Verbindungen inakzeptabel, verurteilt als unmögliche Liebe - wovon Friedrich Schillers 1784 entstandenes Trauerspiel Kabale und Liebe erzählt. Auch knapp 70 Jahre später galt das Ansinnen, eine Ehe über Standesgrenzen hinweg eingehen zu wollen, als skandalös - wovon Giuseppe Verdis Luisa Miller erzählt.

Was aber macht man heute aus diesem Stoff, also im 21. Jahrhundert, wo Klassengegensätze nicht mehr die entscheidende Rolle spielen? Eine Frage, die Manuel Schmitt mit seiner Inszenierung auch nicht überzeugend löst - jedenfalls nicht so, dass dabei eine sinnfällige und dem Publikum sich erschließende Antwort herausgekommen wäre.

Sebastian Ellrichs Bühne repräsentiert räumlich wie optisch zwei gegensätzliche Welten: unten eine geradezu lebensfeindliche Ödnis mit kalkweißen toten Baumstämmen und einer (von den Sängerdarsteller:innen nahezu unbespielbaren) Buckelpiste aus Felsgestein; oben ein klinisch anmutender, gleichwohl massiv nach Geld riechender Salon. Unten Miller und seine Tochter Luisa, oben Graf Walter und sein Sohn Rodolfo. Die einen tragen seltsam schäbige schwarz-weiß gehaltene Kleider, die anderen feinen Zwirn in Königsblau. Dass Luisa ihren geliebten Rodolfo bekommen wird, ist völlig ausgeschlossen. Ihr Vater hat ganz andere Pläne - aber auch eine Leiche im Keller, mit der er erpressbar ist. Das tut Wurm, ein schäbiger Intrigant, der selbst Begehrlichkeiten hegt gegenüber Luisa. Daraus entwickelt sich eine nicht ganz unkomplizierte Geschichte, ein Gemisch aus Lügen, Betrügen und Nötigung, an deren Ende zwei Tote auf der Bühne liegen: Rodolfo und Luisa nehmen sich das Leben!

Ein tragisches Drama, von Manuel Schmitt durchaus nachvollziehbar inszeniert. Es wirkt aber etwas antiquiert, weil sich Bezüge zum Hier und Jetzt nicht recht einstellen. Auch erschließt sich nicht, weshalb im zweiten Teil der Oper auf einmal drei Schweinehälften von der Decke des Etablissements baumeln, in dem Walter residiert (bei Dietrich Hilsdorfs Luisa Miller vor 23 Jahren im Essener Aalto-Theater war es - ähnlich enigmatisch wie hier - eine Rinderhälfte...).

Aber auch ohne dass ihr eine tiefere Bedeutung herauszulesen ist, lohnt sich diese Luisa Miller. Und wenn es nur diesen einen Grund gäbe: Tetiana Miyus zuzuhören und zuzusehen, wie sie die Titelpartie leidenschaftlich durchlebt und durchleidet. Grandios! Ihr makelloser, frischer, mit schlafwandlerischer Sicherheit geführter Sopran entfacht jede erdenkliche Emotion, von tiefster Verzweiflung bis hin zu sprühendem Glücksgefühl. Dynamisch flexibel vom stillen Pianissimo bis hin zu dramatischen Ausbrüchen, ausgestattet mit einer reichen Palette an Farben - einfach unglaublich gut!

Önay Köse als Luisas Vater Miller ist ein stattlicher, profunder Bass, hält sich allerdings fast ausnahmslos im Forte oder Fortissimo auf. Da wäre eine feinere Dosierung wünschenswert, die auch das Piano erreicht. Dominic Barberi, der gebieterische Graf Walter, macht dies sehr gut vor und ist nicht nur sängerisch, sondern auch darstellerisch völlig überzeugend. Den Rodolfo gibt Timothy Richards absolut souverän, liebt und leidet ähnlich anrührend wie Luisa; Ricardo Llamas Varquez schlüpf stimmschön und darstellerisch perfekt in die Rolle des Fieslings Wurm, Olga Privalova in die der Federica von Ostheim, Walters Schwiegertochter in spe (wenn es nach ihm ginge).

Verdis Musik orientiert sich - zumindest anfangs - noch eher an seinen älteren Kollegen wie Donizetti und Bellini, mal abgesehen von der Ouvertüre, in dem sich das gesamte Drama eigentlich schon voll und ganz andeutet. Andreas Hotz am Pult des Osnabrücker Symphonieorchesters braucht eine kleine Weile, um sich einzufühlen in die Musik, legt dann aber los und schöpft facettenreich gestaltete, kraftvolle Klänge aus dem Graben, immer in gutem Kontakt zum Bühnengeschehen.