Übrigens …

Katja Kabanova im Opéra Royal de Wallonie Liège

Frau in Flusslandschaft

Augen auf bei der Partnerwahl!“ - Angesichts der Fährnisse Katja Kabanovas besteht die Versuchung zu solchem Ratschlag. Denn sie gerät gleich zwei Mal an den Falschen. Ehemann Tichon, für den sie durchaus etwas empfindet, ist ein Muttersöhnchen. Hingegen kuscht Boris, mit dem sie sich über den Waschlappen von Gemahl hinwegzutrösten sucht, unter der Knute seines herrischen Onkels. Katja verabscheut Doppelmoral. Sie bekennt den Ehebruch. Final mag sie zum verzeihungsbereiten Gatten nicht zurückkehren, der Liebhaber aber verlässt sie auf Weisung seines Oheims. Völlig desillusioniert geht sie in die Wolga.

Regisseurin Aurore Fattier kommt vom Sprechtheater und beweist mit ihrer ersten Opernspielleitung durchaus Sinn für die Gattung. Freilich braucht es noch weitere Erfahrung. Das gilt vor allem für die Zeitstrukturen des Genres. Wenn die Figuren überlang in der Gegend herumpaffen, dann scheint es, als wolle Fattier vermeintliche musikalische Durststrecken überspielen. Das zentrale Liebespaar wird schwach belichtet. Katjas Leidenschaft bleibt eher verhalten. Ihre tiefsitzenden Skrupel und Schuldgefühle dringen nur gedämpft an die Oberfläche. Boris bietet kaum mehr als die Mindestdosis von Empfindungen für Katja auf. Weitaus vitaler agiert das zweite Liebespaar des Werks. Pragmatisch und der Zukunft zugewandt lösen sich Varvara und Vana aus familiären und dörflichen Bindungen, um ihr Glück in Moskau zu finden. Varvara sprüht vor Daseinslust und packt das Leben beim Schopf. Für Fattier ist sie ein immer unverzagtes Energiebündel. Weshalb ihr Geliebter blind sein und am Stock gehen soll, leuchtet zwar nicht so recht ein, doch verbleibt ihm dennoch ein gerüttelt Maß an Virilität und Entschlossenheit. Kraftvoll auch die Zeichnung der Kabanicha. Die Matriarchin kennt nur eine Ordnung, den Gehorsam gegenüber ihrem Gebot. Bei Fattier kommt die Familiendespotin als elegante Geschäftsfrau mit einiger Grandezza daher. Ihren Witwenstand nutzt sie zu Lizenzen wie der Liason mit Díkoj, den sie beim Schlafittchen packt, um ihn ins Schlafzimmer abzuschleppen. Marc Lainé und Stephan Zimmerli stellen eine sanft gewellte Uferlandschaft samt Birke und Bootssteg auf die Bühne. Da verbleibt viel Platz für die Spielfläche umgebende Wände, die über weite Strecken der Projektion jener Videos dienen, in denen Vincent Pinckaers die Gesichter der Figuren in Closeups einfängt. Die Mimik der Personnage hält dem in unterschiedlichem Maß stand. So erweist sich die Großaufnahme gegenüber der stereotyp zelebrierten Opernernsthaftigkeit der Titelfigur als wenig zuträglich. Prunelle Rulens steckt das Ensemble in heutige Garderobe.

Helden des Abends sind Michael Güttler und das Orchester der Opéra Royal de Wallonie. Kapellmeister und Klangkörper entfalten beides, ruppige Wucht und zarte Poesie. Das Naturhafte des Janácekschen Klangkosmos erweist sich als hochkomplexes, dabei fortwährend durchhörbares Gebilde. Selbst die rhythmischen Vertracktheiten der Partitur scheinen wie von der Natur abgelauscht. Schlankstimmig verkörpert Anush Hovhannisyan die Titelfigur. Die Hoffnung, sie werde mindestens „auf den letzten Akt singen“, löst Hovhannisyan teilweise ein. Katjas Gewissensnot und Sorge finden dort empfindsamen Ausdruck. Bis zu einem Rollenportrait, das ins Innerste greift, ist es freilich noch einiges hin. Anton Rositskiy hinterließ in der vergangenen Spielzeit einen ausgezeichneten Eindruck sowohl als „Rusalka“-Prinz in Liège wie auch als Titelfigur in „Benvenuto Cellini“ an der Semperoper. Nun ist er ein vokal und spielerisch verhaltener Boris. Restlos gewinnend das zweite Liebespaar: Jana Kurucová bietet für Varvara Liebestüchtigkeit, Realitätssinn sowie vollrunde Tongebung samt Strahlkraft auf. Ein weiblicher Sympathiebolzen sondergleichen. Alexey Dolgov verleiht Vana erosgeladen-satte Männlichkeit. Durchtrieben und mit allen vokalen Wassern gewaschen gibt Nino Surguladze die Kabanicha. Kein Zweifel, ihr Sohn und Katjas Gemahl Tichon ist eine schwächliche Gestalt und folglich undankbare Rolle. Was aber Magnus Vigilius daraus macht, imponiert sanglich wie spielerisch. Da lässt der Stolzing vom Dienst der Deutschen Oper Berlin und der Königlich Dänischen Oper in Kopenhagen seinen Heldentenor im Dienst der Rolle vorsätzlich schwächeln. Intonation und Phrasierung aber beweisen immerfort, in welcher Liga Vigilius daheim ist. Überdies hält allein seine Mimik den filmischen Closeups vollgültig stand.