Arte Povera als Liebes- und Freiheitselixier
Da bekam der dritte Napoleon sein Fett weg. Offenbach zählte zu den wenigen, die sich das trauten. Die Maitressenwirtschaft des Kaisers war sprichwörtlich, ein spezieller - im Ausland publizierter - Katalog in Umlauf. Den diversen Geliebten der im Werk fadenscheinig nach Lima exilierten und zum bloßen Vizekönig herabgestuften Majestät voraus hat die titelgebende Straßensängerin indessen ein sympathisch geerdetes Proletarierinnen-Bewusstsein und das Herz auf dem richtigen Fleck. Zwar hofft sie anfänglich aus dem Avancement bei Hof für sich und ihren Kollegen und Gefährten Piquillo allerhand Profit zu ziehen. Wenn aber der Monarch die für Maitressen üblichen Dienstleistungen einfordert, verweigert sie sich dem brünstigen Tyrannen. Der wirft daraufhin Piquillo in den „Kerker für widerspenstige Ehemänner“. Die Périchole aber sinnt auf seine Befreiung. Nach einer haarsträubenden Fluchtgeschichte stellt sich das Paar dem Monarchen, um die Zweisamkeit und Schönheit der „Arte Povera“ zu besingen. Gerührt, lässt er die beiden Straßenkünstler ihres Weges ziehen. Prominenter Offenbach-Kenner, der er ist, behandelt Regisseur Laurent Pelly die opéra-bouffe mit leichter Hand und kommt zugleich immer auf dem Punkt. Burschikosen Wesens schlägt sich die Périchole singend und pragmatisch durchs Leben. Eine ganz starke Frau. Ihr Piquillo reicht an solches Format nicht heran, ist aber ein ansehnlicher Kerl und guter Kamerad. Genug, um ihn dem Vizekönig vorzuziehen. Einerseits kennt der Tyrann keine Skrupel, wenn es gilt, die Ehemänner der von ihm begehrten Frauen - freilich weniger aus Grausamkeit denn Praktikabilität - lebenslänglich im Kerker schmachten lässt. Andererseits mischt er sich auf der Suche nach Amouren jenseits der höfischen Etikette unter’s einfache Volk. Die Leute geben sich alle Mühe, ihn nicht zu erkennen. Höchst vergnüglich, wie Pelly solche kollektive Vermeidungsstrategie geradezu choreografiert. Wenn der Périchole dennoch gelingt, die öffentliche Meinung für ihre Liebe und Freiheit zu mobilisieren, so vollbringt sie ihr Meisterstück. Bühnen- und Kostümbildnerin Chantal Thomas verlegt das Treiben der einfachen Leute in eine an sich triste, doch zum munteren Straßenfest aufgepeppte Stadtlandschaft. Der Vizekönig gönnt sich in seinem Palast einen veritablen Spiegelsaal. Modisch setzt Thomas ironisierte höfische Roben von den augenzwinkernd kumulierten Geschmacklosigkeiten aus dem nächsten Textildiscounter ab.
Dem reinen Plaisir der szenischen Seite entspricht das musikalische. Unter Denis Segond agiert der Chor der Königlich Wallonischen Oper spielfreudig, dabei sängerisch ausgesprochen wendig und mit viel Sinn für musikalischen Witz. Federleicht und voll rhythmischer Verve lässt Clelia Cafiero das Orchester des Hauses aufspielen. Ebenso bodenständig wie charmant verkörpert Antoinette Dennefeld die Titelpartie mit sattem Mezzo. Pierre Derhet verfügt für Piquillo über seinen biegsam-schlanken Tenor. Den Vizekönig Don Andrès de Ribeira präsentiert Lionel Lhote als charakterlich und von der äußeren Erscheinung nicht eben attraktives, doch trotz seiner Mängel eher banales Mannsbild. Seinen sonst eher im seriösen Fach beheimateten Bariton bringt Lhote auch in der Buffopartie trefflich zur Geltung. Auch die Nebenrollen sind attraktiv gecastet.
P.S. Die Liégoiser Perichole ist eine Koproduktion mit dem Pariser Thèâtre des Champs-Élysées. Die Kostüme wurden in der französischen Kapitale gefertigt, das Bühnenbild in der Maasmetropole.