Übrigens …

Die Ärztin im Theater Heidelberg

Brüchig ist die Existenz

Vielleicht hatte der vielfach ausgezeichnete britische Autor Robert Icke jene österreichische Ärztin im Sinn, die vor Jahren nach einer hässlichen Medienkampagne nur noch den Suzid als Ausweg sah, um sich selbst zu schützen gegen Hass und Manipulation. Auch dient ihm das Stück Professor Bernhardi von Arthur Schnitzler als Quelle der Inspiration, in dem Schnitzler den hässlichen Antisemitismus thematisiert, dem ein jüdischer Mediziner kurz vor dem ersten Weltkrieg zum Opfer fällt.

Ruth Wolff, angesehene Alzheimer-Forscherin und Direktorin einer Privatklinik, verweigert einem Pater den Zugang zu einem im Sterben liegenden Mädchen. Das hat nach einem eigenhändigen Abtreibungsversuch eine Sepsis. Während der Gottesmann Seelenheil per Sterbesakramente spendieren will, besteht die Ärztin darauf, das Mädchen, das vielleicht noch auf Heilung hofft, nicht unnötig aufzuregen vor einem hoffentlich friedvollen Tod. Es kommt zur Handgreiflichkeit.

Das Stück gewinnt an Dramatik, denn Icke dröselt die verschiedenen Einflusslinien auf, die schließlich zum Entzug der Approbation dieser jüdischstämmigen Ärztin führen. Einerseits macht sie sich angreifbar, da sie mit herrischem, unbeugsamem Wesen die Klinik auf sich einschwören will und auf ihrer ärztlichen, allein seligmachenden Meinung beharrt. Da ist der Einfluss der katholischen Kirche im fiktiven Land, wo subkutan das Gift des Antisemitismus die Menschen manipuliert. Die schließen sich zur Kampagne zusammen, das Opfer ist ausgedeutet.

Aber auch innerhalb der Klinik brechen Fronten auf. Werden diskret Rechnungen gegenüber einer unzugänglichen Direktorin beglichen, der ein Perspektivwechsel und diplomatische Biegsamkeit fremd sind? Zumal es um die Finanzierung eines Neubaus geht. Wie reagieren die Geldgeber? Die Politik mischt sich ein, die Talkshow gerät zum Tribunal, die Gesundheitsministerin, eine ehemalige Assistenzärztin bei Ruth Wolf, wendet sich ab, der Vorstand des Trägervereins zerbricht. Ruth Wolff steht vor dem Scherbenhaufen einer beruflichen und privaten Existenz.

Der Autor spielt mit einem Mix aus Antisemitismus und Rassismus, beruflichen Egoismen, privaten Implikationen, ethischen Normen und gesellschaftlichen Zwängen. Das nimmt Regisseurin Pia Richte zum Anlass, die Hauptfigur zu überzeichnen, denn Katharina Quast als Ruth Wolff ballert mit eindimensionaler Lautstärke und Sprachfertigkeit ihre Standpunkte heraus, während die anderen Figuren in ihren Zwiespälten und Illoyalitäten differenzierter angelegt werden. Die Bühne ist licht gehalten, darin die Halbgötter in Weiß ihre Gefechte austragen, als gelegentliches Kontrastmittel wirkt Rot wie ein filmischer Cut. Garniert wird die Produktion durch einen eher überflüssigen Pop-Tanz-Einschub und einen gequält wirkenden finalen Treff zwischen Ärztin und Pastor als philosophischer Annäherung.

Alles gut? Nein, der Antisemitismus bleibt, scheint in den europäischen Gesellschaften sogar wieder zuzunehmen, und das Publikum fragt sich, ob das Original von Schnitzler in seiner zeitlosen Gültigkeit sogar die bessere Wahl gewesen wäre.