Sonnenbrand, Atemnot und Restmenschen
Braucht es diese weitere theatrale Vergegenwärtigung des Klimawandels? Was die Textgrundlage des vor Asche entstandenen Diptychons Sonne/Luft anlangt, eher nicht. Unbedingt aber, sobald Jelineks Textflächen auf der Osnabrücker Bühne zur dritten Dimension aufwachsen, handgreiflichen Gebilden. Ohne Trauer besingt Sonne den Weltuntergang. Die Menschheit hat ihn sich selbst beschert. Zwar ist der Abstand zum Zentralgestirn ideal für das Gedeihen der Spezies. Wo indessen die atmosphärische Schutzschicht zerstört wird, da dringt tödliche Strahlung hernieder. Wenn dazu Sonnenwinde die zur Kühlung der Atmosphäre beitragende kosmische Strahlung ablenken, geht die Menschheit unabwendbar perdu. Hat sie verdient, zumal sie noch nach Strandbräune giert, während die Sonnenanbetenden schon längst im solaren Backofen schmurgeln oder vom Hautkrebs aufgefressen werden. Regisseur Christian Schlüter nutzt den Kontrast der verschiedenen Sprachebenen vom ironiesatten Pathos des Faust-Prologs im Himmel bis hin zur inzwischen arg abgedroschenen und wie unter Zwang in Sonne/Luft einzig sich selbst reproduzierenden und selbstverliebten Suada Jelineks, um daraus komödiantische Funken zu schlagen. So gerät denn der Text zum bloßen Spielmaterial. Eine blitzgescheite, den Abend rettende Entscheidung. Das solare Terzett aus Monika Vivell, Nientje C. Schwabe und Stefan Haschke darf denn auch munter und schwerelos agieren, als habe es sich Goldoni vorgenommen. Dies in Margrit Flagners wandelbarem Hingucker-Bühnenbild. Zunächst präsentiert sich das mit Goldstoff überzogene Gestänge eines monumentalen Reifrocks, aus dem die mit - je nach Assoziation - Newton- oder High-Court-Allogneperücke angetane Schwabe sich emporreckt. Final kippt das hoch aufgetürmte Gebilde nach hinten, um das gleißende Licht sternförmig angeordneter Leuchtstäbe ins Publikum zu senden. Kostümbildnerin Lucia Frische verpasst der sonnigen Dreifaltigkeit güldene Outfits. Zitate aus Rokoko und Pop-Kultur sorgen für Heiterkeit.
Obschon deutlich kürzer, macht Luft es den Beteiligten um einiges schwerer. Das Stück ist dünn wie die Atmosphäre in hochalpinen Regionen. Eine klischeebefrachtete Dystopie, die für erholsamen Theaterschlaf sorgen dürfte, würde Spielleiter Schlüter nicht über eine tragfähige Idee und sportliche Spieler verfügen. Im wahrlich kräftezehrenden vor- und zurückeilenden Dauerlauf ist mitzuerleben, wie das durch zahllose Umweltsünden verpestete Element ihnen den Atem raubt. Inmitten weißer Podeste erbringen so Amaru Albacando, Raphael Akeel und Michi Wischniowski Leibesübungen, die ihnen das Sportabzeichen mindestens ehrenhalber eintragen sollten. Dass sie währenddessen trefflich dialogisieren, erwirbt ihnen zusätzliche Meriten.
Asche ist - wenngleich in Osnabrück stark zusammengestrichen - das poetisch dichteste Stück der Jelinekschen Trilogie. Gut möglich, dass der Tod des Ehemanns die Schriftstellerin dazu vermocht hat, sich über die allfälligen Textflächen und Kalauer-Girlanden hinaus, ernsthaft auf die existentiellen Fragen nach Gott und dessen Abwesenheit sowie Leben und Tod einzulassen. Eingespannt in solche Polaritäten, gewinnt auch die Umweltproblematik neue Brisanz und Dichte. Dies vor einer das Bühnenportal ausfüllenden Wand, lediglich der abgedeckte Orchestergraben dient als Spielfläche. Genug Platz, um Ronald Funke Raum für großes Schauspielertheater zu bieten. Funke behandelt Jelineks Text gleich einer Tragödie von Lear-Format. Sicher, die Welt ist nicht tragisch, doch wenigstens darf sie sich im Abgesang so geben, als wäre sie’s.
Final öffnet sich die Sperrmauer in die Bühnentiefe. Sichtbar wird ein Pony vor strohgefüllter Krippe. Der Sinn bleibt unerfindlich, doch stimmt der Anblick versöhnlich.